Mit dem Weltfrauentag soll eigentlich auf die Gleichberechtigung und Frauenrechte aufmerksam gemacht werden, doch seit ich denken kann, wird am Frauentag die immer gleiche abgedroschene Casanova-Geste mit der langstieligen roten Rose bemüht. Dann stehen sie wieder überall, die smarten Promoter mit ihren gegelten Haaren und schlecht sitzenden Polyester-Anzügen, um in windiger Marketing-Mission irgendeines Ladens das Symbol flammender Liebe und Ehrerbietung an kichernde Frauen jeden Alters zu überreichen. Restaurants oder Bars haben darüber hinaus gern noch ein neckisches Sekt-Angebot für den Mädelsabend im Angebot. Frauentag. Das ist nämlich unser Tag, da können wir Girls uns mal so richtig was gönnen, verwöhnt werden, Spaß haben. Jaaaaa toll! Noch einen Sekt bitte! – Was für eine Scheiße! Kein Geschäft oder Unternehmen ist sich am 08. März zu schade, ungefragt mit seiner schmierigen Ehrungs-Botschaft daherzukommen, ohne sich wirklich für Gleichberechtigung und Frauenrechte einzusetzen. Denn es handelt sich keineswegs um einen Tag, den man mit Blumen oder Sekt begehen sollte. Es gibt nämlich nichts zu feiern. Wir sind nicht gleichberechtigt, noch lange nicht. Auch wenn sich hinsichtlich der Gleichstellung von Frauen schon viel getan hat, ist es für ein ordentliches Besäufnis noch viel zu früh. Man könnte es mit einem Fußballspiel vergleichen. Nur weil die Lieblingsmannschaft in der 17. Minute ein Tor geschossen hat, ist der Sieg noch lange nicht eingefahren. Der Frauentag ist ein Kampftag und er soll vor allem daran erinnern, dass die Welt für Frauen und Männer bei Weitem nicht gleich ist. Was soll mir das Getue mit den Rosen und dem Kopfschmerzsekt denn eigentlich sagen? „Gleichberechtigung leider nein, aber hier ist eine schöne Blume?“ Eine Rose als Zeichen dafür, dass man sich weiter ausbeuten lassen darf, wenn man sich nur ordentlich anbiedert und die Füße stillhält, oder was?
Dornröschen war eine wehrhafte Frau
Bei roten Rosen bin ich seit dem RTL-Bachelor sowieso vorsichtig. Wenn ein halbstarker Testosteron-Gockel junge Frauen mit einer schnöden Blume gefügig machen kann und dabei von Liebe fabuliert, bin ich mir nicht sicher, wo genau jetzt der Unterschied zum verhassten Tinder-Schwindler sein soll? Mit der aktuellen Informationslage zur Rose und ihrer Botschaft steht mittlerweile auch zur Debatte, ob wir Dornröschen eigentlich alle falsch verstanden haben. Das Girl war vielleicht die erste Feministin und das dornbewehrte Schloss ein deutliches „Nein heißt Nein!“ an aufdringliche Jünglinge. Denn nur so kann man die Rosengeste wohl heute noch deuten: Als ein freundliches, aber bestimmtes „Nein“. Ein „Nein“ an alle Frauen, die sich die gerechte Aufteilung von Sorgearbeit wünschen, die gleiches Geld für gleiche Arbeit fordern, die vor Gewalt in Beziehungen sicher sein wollen oder vor sexuellen Übergriffen. Wer sich am Frauentag noch mit billigem Blubberfusel und einem stacheligen Strauchgewächs in die dunkle Ecke des Patriarchats locken lässt, der hat wirklich den Knall nicht gehört. Wer immer noch nicht hören will, der soll die verschissene Rose gern nehmen und sich mit Sekt oder Wodka Cranberry in die Ignoranz-Sphäre abschießen, die uns einen einzigen Tag im Jahr so fühlen lässt, als hätten wir doch bereits alles. Ich kriege an diesem Tag lieber einen ausgewachsenen Nervenzusammenbruch! Das wäre der Situation zumindest angemessen.
Das ewig gleiche Rollenverständnis
Alle, die noch glauben, dass wir doch längst gleichberechtigt wären, dürfen gern einen Blick in die Statistiken werfen. Frauen beziehen durchschnittlich fast 50 Prozent weniger Rente als Männer. Das liegt daran, dass sie immer noch länger im Job aussetzen, wenn sie Kinder bekommen und häufiger in Teilzeit arbeiten, um den Großteil der Sorgearbeit zu übernehmen und daher weniger verdienen. Alleinerziehen betrifft mehrheitlich Frauen. Im Jahr 2019 waren 1,3 Millionen Mütter und nur 185.000 Väter alleinerziehend. Kinder sind leider überwiegend die Priorität der Mütter. Und letztlich sprechen 139 Femizide im Jahr 2020 in Deutschland eine deutliche Sprache. Hinter all diesen Ungerechtigkeiten und schrecklichen Gewalttaten stecken patriarchale Strukturen, die Frauen glauben machen, sie wären qua Geschlecht zu weniger Leistung in der Lage und für die Sorgearbeit zuständig und Männer dazu erziehen, auf Macht und ihre Vorrangstellung zu setzen. Wem das alles zu weit weg ist und wer sich denkt, das geht mich alles nichts an, denn ich arbeite Vollzeit und mein Mann putzt das Klo, der überlegt vielleicht auch mal, wieviel Applaus es bei manchen Arbeitgebern gibt, wenn eine Frau ihre Schwangerschaft verkündet. Und ob es wohl schon mal passiert ist, dass wir Sex hatten, weil wir dachten, wir müssen die Runde jetzt zu Ende fahren, denn wir haben den Motor schließlich gestartet? Dahinter steckt die gleiche Logik, die Frauen für ihre Vergewaltigungen verantwortlich macht, weil der Rock zu kurz war. Die #metoo-Bewegung berichtet von zahllosen Missbrauchsfällen und hat bewiesen, dass das Machtgefälle schlimme Folgen für Frauen hat. Von Freiheit kann man hier wahrlich nicht sprechen und deswegen auch nicht von Gleichberechtigung. Und weil wir die Ungleichheit noch mitten in den eigenen vier Wänden sitzen haben, hat auch die Corona-Pandemie gezeigt, wer die Hosen anzieht und zur Arbeit geht, während Mutti vier Jobs zuhause macht und dabei fast durchdreht: Köchin, Putzfrau, Lehrerin und Home-Office!
Gleichberechtigungs-Puderzucker
Im öffentlichen Bereich mag die Gleichberechtigung schon feiner Konsens sein, aber am eigenen Küchentisch zeigt sich leider noch zu oft, dass es dann doch bequemer ist, wenn alles so bleibt, wie es schon unsere Großeltern gemacht haben. Das ging ja auch. (Hat aber viele Frauen in die Altersarmut getrieben oder sozial geächtet, wenn sie mit Kind Karriere gemacht haben.)
Statt die billigen Rosen im Einkaufszentrum anzunehmen, die uns den Respekt und die Wertschätzung vorgaukeln, die uns echte Gleichberechtigung bescheren würde, könnten wir mal fragen, ob der Herr Geschäftsführer mit der Blumengeste auch zuhause den gleichen Anteil an Sorgearbeit leistet, wie seine Frau? Ob er denn weiß, wann der nächste Zahnarzttermin für seine Kinder ansteht oder ob die Gummistiefel noch passen und wo die eigentlich stehen?
Für mich soll´s Feminismus regnen
Der Feminismus hat leider immer noch einen schlechten Ruf. Er nervt irgendwie ein bisschen, ist unbequem und stört meistens, weil hier Dinge neu verhandelt werden müssen, die so tief verankert sind, dass wir uns ein anderes Leben gar nicht vorstellen können. Und genau das will das Patriarchat. Es will uns leise, nicht so fordernd, abhängig und auch ein bisschen beschämt, wenn wir die Kinder zwei Wochen beim Vater lassen und allein verreisen.
Der Frauentag als Kampftag soll uns daran erinnern, dass wir keine Almosen brauchen, die nach drei Tagen verblühen oder uns einen Abend lang benebeln. Wir brauchen mehr Wut, mehr Tischgespräche, mehr Bewusstsein für die Lage aller Frauen, auch wenn wir selbst schon gut dastehen. Und hört mir auf mit Girl Power, das ist doch für Doofe. Habt ihr schon mal eine Runde Vorstandsvorsitzender gesehen, die am Ende einer Sitzung mit der Parole „MenPower“ abklatschen und sich in den Armen liegen vor stolz? Vielleicht fangen wir einfach an, uns selbst ernst zu nehmen. Wir müssen unsere Leistungen, Erfolge und Siege nicht in rosa Glitzer kleiden und niedliche Ausdrücke dafür finden. Wir können einfach sagen: Geiler Job, beeindruckende Leistung oder die Krise hast Du gemeistert, Du bist ein richtiges Tier, Margarete! Keiner kann Dir was!
Schlussendlich sollte man es halten wie Simone de Beauvoir es heute vielleicht sagen würde: Man kommt nicht als Feministin zur Welt, man wird es.
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