Man gewöhnt sich ja an fast alles. Daran, dass der DHL-Mann das Paket immer beim Nachbarn abgibt, obwohl man zuhause ist. Daran, dass man auf der Fernbedienung mit der Zeit immer fester drücken muss und eben auch an Corona. Die Pandemie war im Sommer ja gefühlt schon abgeblasen wegen „reicht jetzt auch“ und „keinen Bock“ mehr. Zudem sollte die Impfung diese geißelnde Zoonose endlich in die Schranken weisen, um schließlich in den Normalzustand zurückzukehren. Doch im Herbst sitze ich auf einmal mit meiner ganzen Familie in Quarantäne.
Positiv ist negativ
Die Testerei gehört mittlerweile zum Alltag. Die Kinder hassen es wie Zähneputzen, sehen aber ein, dass es sein muss. Auch an das Testergebnis hatten wir uns gewöhnt: Stäbchen rein! Negativ: Weitermachen. Nur letzten Samstag zeigte sich plötzlich entgegen unserer Gewohnheit ein zweiter rosaner Strich auf einem der Tests. Das war einer zu viel. Mein Gehirn versucht aufgeregt das Ergebnis einzuordnen. Positiv! Ich muss die Worte Krankenhaus und Beatmung erstmal verdrängen und sage laut: „Kinder haben einen leichten Verlauf.“ Wir nicken und erzählen es dem Neunjährigen. Der Junge guckt verstört und fragt seinen Vater: “Bist Du böse auf mich, weil ich mich angesteckt habe?”
Immer schön der Reihe nach
Ich kann nicht fassen, wie naiv wir waren! In den fast zwei Jahren Pandemie haben die Kinder ständig von Ansteckung, Krankenhaus, Beatmung und Tod gehört. Sie haben erlebt, wie die Welt wegen dieses Virus stillstand. Geburtstage wurden abgesagt, Schule wurde abgesagt, Leben, wie sie es kannten, wurde abgesagt. Und auf einmal steckt das Virus in dem Körper eines kleinen Jungen und er fühlt sich schuldig, weil wir es versäumt haben, ihm zu erklären, dass es zwangsläufig so kommen musste. “Du kannst nichts dafür!” antworten wir ihm. Die Politik hat entschieden, dass er sich anstecken wird, weil ein Lockdown zum Schutz seiner Altersklasse nicht vorgesehen ist. Wir versichern ihm, dass er daran nicht stirbt und er keine Angst haben braucht. Er fühlt sich schlecht und wir uns elend. Es dauert nicht lange und ein Familienmitglied nach dem anderen wird ebenfalls positiv getestet. Auch die ersten Impfdurchbrüche bei den Erwachsenen zeigen sich alsbald. Die Symptome beunruhigen uns. Das Glück dieser Tage ist, wenn Eltern nacheinander krank werden und so wenigstens einer die Fahne noch hochhalten kann.
Zwischen Scham, Schuld und Schnodder
Ich bin die einzige, die sich noch nicht angesteckt hat und laufe sorgenvoll von Zimmer zu Zimmer, um Tee zu bringen und das Befinden abzufragen. Wenn mir ein SARS-CoV-2-Patient im Flur über den Weg läuft, denke ich zwangsläufig das Wort „Zombieapokalypse“. Der Versuch, das Virus irgendwie zu meiden, ist mit einem Zweijährigen, der mir schon beim Frühstück kläglich aufs Nutella-Toast niest, nahezu unmöglich. Wir müssen also irgendwie durchkommen, hoffen, dass wir alle wieder richtig gesund werden und die Sache aussitzen. In Quarantäne natürlich. Wir machen Witze: „Positiv bleiben!“ Hahaha – hoffentlich nicht! Für die Kinder ist die Langeweile am schlimmsten und das blöde Gefühl, wenn wir beim Arzt angeben müssen: „Das Kind wurde zuhause positiv getestet.“ Meine Tochter sagt mir, dass sie sich irgendwie dafür schämt. Oh eine Infizierte. Blicke. Abstand vergrößern. Echt kein guter Moment für ein Kind. In den Köpfen der Erwachsenen rattert vor allem die ganze Organisation. Wer muss wem was Bescheid sagen, absagen, versagen. Die gedrückte Pausetaste für unbestimmte Zeit ist auch eine psychische Belastung und eine Zerreißprobe zwischen öder Unterforderung und stressigem Jonglage Akt.
Ich bin wieder 15
Lockdown und Quarantäne erinnern mich außerdem schwer an meine Jugend. Damals hieß das Hausarrest und war eine Strafe, die ich wegen schlechter Führung bekam. Da mich damals eher die Hormone als die Vernunft im Griff hatten, habe ich wegen dieser Verhaltenskorrektur einen nicht unwesentlichen Teil meiner Pubertät in meinem Zimmer verbracht. Keine Party, keine Disko, keine Veranstaltungen. Niemals hätte ich geglaubt, dass mich diese Form der Einschränkung in meinen Erwachsenenleben noch einmal so erwischt und beutelt. Gerade hatte ich in dem Glauben, das Thema Lockdown läge hinter uns, dem Motto „Jetzt erst recht!“ ewige Treue geschworen und glitzernde Tanzschuhe bestellt, da steht auf einmal, Palim Palim, Corona in meiner Tür. Also wieder Hausarrest für alle. Von Normalität kann also noch lange keine Rede sein. Nur der DHL-Mann weiß davon nichts, der hat die Glitzerschuhe wieder bei der Nachbarin abgegeben. Normal eben.
Text: Andrea Glaß
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