Ficken, Bumsen, Blasen – Na, alle wach? Jetzt ist es mal so richtig schmutzig geworden in der Mutti-Ecke. Haha, Hihi, aber irgendwie auch: Huch! Wir sind doch alle so aufgeklärt und frei, woher dann diese Scham? Wer sich beim Lesen des ersten Satzes verlegen umsah, reflexhaft den Bildschirm verdecken wollte oder gar unfreiwillig die Gesichtsfarbe wechselte, der fühlt sich beim Thema Aufklärung von Kindern wahrscheinlich besonders unter Druck. Obwohl Sex allgegenwärtig ist, sind wir bei der Aufgabe, mit Kindern über Sexualität zu sprechen, so hilflos wie ein übergewichtiger Teenager beim Hüftaufschwung. Die beruhigende Nachricht ist: Das ist alles ganz normal. Wir sind quasi alle Schamgeborene. Die Scham hat uns überhaupt erst zu dem gemacht, was wir heute sind. Tatsächlich gibt es keine Gesellschaft ohne Körperscham. Aber indigene Völker, höre ich versierte Hobby-Anthropologen insistieren – Doch, auch die! Dieses Gefühl ist charakteristisch für die menschliche Lebensform und Verhaltensforscher glauben, dass wir ohne Schamgefühl und dem damit einhergehenden Wunsch der Verhüllung permanent von Sex besessen wären. Wir hätten also keine Kapazitäten mehr, uns Gedanken um andere Probleme zu machen, denn wie gut es sich mit geilem Gehirn denken lässt, kann man Boris Becker fragen oder Bill Clinton.
Aber der Mensch verbirgt nicht nur seinen Körper unter Kleidung, er versteckt sich auch beim Sex. Seit mehreren hunderttausend Jahren haben Menschen keinen öffentlichen Geschlechtsverkehr mehr. Der Rückzug ins Verborgene hat sich evolutionär bewährt, denn wer so richtig in Fahrt ist, kann ganz schlecht auf etwaige Bedrohungen achten oder gleichzeitig mögliche Konkurrenten in Schach halten. Diese eigentümliche Gefühlsregung, die unsere Genitalien und den Sex ins Private zwang, hat sich somit über Millionen von Jahren in unser Erbgut gepimpert.
Was denken Sie über Penisse, Herr Kollege?
Das erklärt also, warum Gespräche rund um „untenrum“ so schwierig sind, obwohl wir doch alle so locker drauf zu sein scheinen beim Thema Sex. Aber jetzt mal etwas Gleitgel auf die Wahrheit: Wie gut gelingt uns denn das schlichte Benennen der relevanten Körperteile, dessen blickdichte Verhüllung wir gerade evolutionsbiologisch gerechtfertigt haben? Abends während der Sexytime spricht Mutti vielleicht noch fließend Dirty Talk und peitscht mit derben Ansagen der Langzeitbeziehung neues Leben ein, aber bei Tageslicht und neugierigem Nachwuchspublikum benannt, werden die Genitalien plötzlich zu „Piephahn“ und „Schmuckkästchen“ verniedlicht. Lächerlich!
Bloß, wie trifft man hier den richtigen Ton, ohne einerseits wie eine 0190-Werbung zu klingen oder in die verklemmte Deppen-Falle zu tappen? Die einzige Chance ist, sich selbst klar zu machen, dass wir es mit dem Endgegner Aufklärung nur aufnehmen können, wenn wir uns auf neutralen Boden begeben und möglichst sprachliche Vorbilder suchen, die schon allein von Berufswegen nicht Schniedelwutz oder Mumu sagen dürfen. Wir nehmen also die medizinisch korrekten Bezeichnungen der Körperteile, um ein wenig Distanz zu wahren und einigen uns auf Penis und Vulva. Gut, damit hätten wir wenigstens schon mal die Hauptdarsteller benannt. Ich empfehle, mit den Begriffen vor dem großen Auftritt erstmal zu proben. Bei Freunden oder Arbeitskollegen kann man die beiden ganz nonchalant aufs Tapet bringen und einfach mal abtasten, wie ein Satz mit explodierendem Peinlichkeits-P wie Penis und bleckenden Schneidezahn-W wie Vulva so ankommt in der Kantine oder beim Kaffee. – Naja gut, dann eben allein vor dem Spiegel ein dreifaches Penis oder Vulva ohne zu lachen! – Anschließend Spiegel putzen nicht vergessen.
Mein Auge, mein Auge…
Wenn wir also unsere erzieherische Pflicht wahrnehmen wollen und das steht eigentlich nicht zur Debatte, müssen wir früher oder später mit den Kindern über Sex reden, sie aufklären und vor allem wappnen, sodass sie ihre persönlichen Grenzen schützen und die Anderer respektieren können. Dabei sollte die Aufklärung der kindlichen Entwicklung immer einen Schritt voraus sein. Sonst wird die Tochter eines Tages von der Periode überrumpelt und die Aufklärung übernimmt YouPorn. Eine zu frühe Sexualisierung durch altersgerechte Gespräche über Intimität gibt es nicht. Kinder interessieren sich für Beziehung und Sexualität und stellen dementsprechend Fragen. Sie nehmen von der Antwort das auf, was sie einordnen können. Wem die Lebenswelt und damit der Entwicklungsstand des Kindes bekannt sind, sollte dementsprechend auch in der Lage sein, eine kindgerechte Antwort zu finden.
Im ersten Schritt kann man einfach sagen, dass man es gut findet, wenn das Kind mit einer Frage kommt. Unsicherheiten zeigen, ist genauso in Ordnung wie die Sache mit Humor zu nehmen. Zum Lachen ist mitunter, wenn uns Kinder die sexualisierte Sprache spiegeln, die wir selbst dauernd verwenden. Mir wurde das bewusst, als unser Teenager am Abendbrottisch die aufgefahrenen Riesenschnitzel mit „geil“ kommentierte und der 9-jährige Spielgast des jüngeren Sohnes ad hoc repetierte: „Geil, das heißt sexbereit!“ Großes Gelächter bei den Erwachsenen. Ernster Gesichtsausdruck beim pubertierenden Nachwuchs. Wer erinnert sich nicht an die Pein, die man empfand, wenn in Gegenwart der Eltern nur im Entferntesten das Thema Sex durch den Raum waberte. Die Angst vor dem drohenden Aufklärungsgespräch mit den Eltern war noch schlimmer als Sperma im Auge.
Nächster Halt: Orgasmus
Nun stehen wir auf der anderen Seite und wollen es irgendwie besser machen. Nur wie anfangen? Dazu ein paar Vorschläge, um die Tür altersgerecht und mit Würde zu öffnen:
Für kleine Kinder: „Vielleicht hast Du schon mal das Wort Sex gehört. Weißt Du, was das bedeutet? Menschen, die sich gerne haben, möchten sich manchmal auch gegenseitig berühren, weil das schöne Gefühle auslöst.“ Anfangs immer das Schöne betonen und jede Frage so genau wie möglich beantworten. Mit bloßen Andeutungen müssen Kinder sich ihre eigenen Vorstellungen zusammenreimen und sind damit oft überfordert. Kein guter Einstieg.
Bei älteren Kindern ist der Zugang über ein aktuelles Thema eine gute Möglichkeit: „Hast Du von den Trotteln mit den Pinky Gloves gehört?“ Ideal im Auto, wenn das Kind noch hinten sitzt und man sich nicht in die Augen sehen muss. Aber bitte nicht im stressigen Feierabendverkehr oder allzu oft, sonst verweigert der Teenie irgendwann die beklemmende Fahrt mit dem Aufklärungsmobil. Das Kind darf auch ablehnen, wenn es eben nicht mehr alles mit den Eltern besprechen möchte. Das heißt nicht, dass man das Thema aussitzen soll und aus dem Schneider ist, wenn der 17-jährige „Lass gut sein, Papa!“ antwortet, das heißt nur, dass man 10 Jahre zu spät kommt mit dem Gesprächsangebot.
Let´s talk about sex
Eine große Hilfe ist natürlich immer das Aufklärungsbuch. Dem Herrgott sei Dank, dass sich eine ganze Heerschaar von Pädagogen, Ärzten und Psychologen mit ambitionierten Illustratoren zusammengetan hat und es deswegen eine schier unüberschaubare Anzahl anatomisch und sprachlich korrekter Bücher zum Thema Aufklärung gibt, die mit ihren rotbackig staunenden Bilderbuchgesichtern und sehr viel Hautfarbe eine arglose Gesprächsgrundlage bieten können. Bevor wir nun das rettende geschlechtsspezifische Standardwerk diskret bei Amazon ordern, sollten wir uns kurz bewusst machen, dass diese Bücher trotzdem nicht das Gespräch ersetzen können. So nach dem Motto: „Bitte sehr! Hier ein Buch zum Thema Sex. Unter „P“ wie Penetration steht alles, was Du wissen musst.“ Es geht nämlich im Grunde nicht um den Akt an sich. Aufklärung bedeutet in erster Linie Schutz und zwar nicht nur vor ungewollten Schwangerschaften.
Die Entwicklung einer selbstbestimmten und erfüllten Sexualität braucht einen Wissensvorsprung und die Gewissheit, dass der eigene Körper in keiner Weise mangelhaft ist. Meine Generation hat mitunter eine ganze Jugend und einen Großteil des Erwachsenenlebens mit dem Erwerb dieser Erkenntnis zugebracht. Unser Auftrag lautet also, den Kindern zu zeigen, wie wertvoll Intimität ist und wie wichtig Grenzen, Respekt und Akzeptanz sind. Es geht um Beziehungen und in diesem ersten Schritt, um eine der wichtigsten Beziehungen des Lebens überhaupt: Der zu uns selbst und unserer Sexualität. Wir sollten im Blick behalten, dass wir in unserer modernen Gesellschaft immer noch um Gleichberechtigung ringen und zwar nicht nur bei der Bezahlung sondern auch im Bett. Wir sind also mit unseren Botschaften an die nächste Generation in der Pflicht, endlich mit realitätsverzerrenden Idealen, verletzenden Zuschreibungskorsetts und unterdrückenden Rollenbildern aufzuräumen. Der erste Schritt für ein erfolgreiches Aufklärungsgespräch mit dem eigenen Kind sollte demnach unbedingt die ehrliche und kritische Beantwortung der Frage sein: Wie aufgeklärt bin ich eigentlich selbst? Sollten sich hier Defizite, Mängel oder Fragen auftun, kann man auch als Erwachsener auf eine Vielzahl von Aufklärungsbüchern zurückgreifen, eventuell sind die dann aber nicht mehr so reizend illustriert.
Unsere Empfehlungen für Aufklärungsbücher für Kinder könnt ich euch hier ansehen!
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