Eine Kinderchirurgin sagt ganz klar: „Kinder gehören nicht in Watte gepackt!“

Interview Dr. Degenhardt Bergmann Klinikum Potsdam

Ein Thema, an das wir Eltern nicht so gern denken, sind Verletzungen bei unseren Kindern. Zum Glück gibt es Menschen, die dann helfen und einem zur Seite stehen, wie zum Beispiel Dr. med. Petra Degenhardt, Chefärztin der Kinderchirurgie am Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam, selbst Mutter von zwei erwachsenen Kindern.

Sie hat sich einmal für uns Zeit genommen und nicht nur von ihrer Arbeit erzählt, sondern gibt auch Tipps, wie wir Eltern unsere Kinder schützen können und welche Erste-Hilfe-Maßnahmen wir im Notfall anwenden können. Und Frau Dr. Degenhardt verrät uns auch, wie sie auf die Idee kam, in Potsdam eine Kinder-Akademie zu gründen.

Die Arbeit mit den Kindern ist das Schönste an meinem Beruf.

Interview Dr. Degenhardt Bergmann Klinikum Potsdam

POLA Magazin: Frau Dr. Degenhardt, bitte erzählen Sie kurz von Ihnen. Warum sind Sie Kinderchirurgin geworden?

Dr. med. Petra Degenhardt: Eigentlich wollte ich ja Chirurgin werden. Aber nach meinem PJ [Praktischen Jahr – ist ein fester Bestandteil der Medizinerausbildung, Anmerkung der Redaktion] in der Kinderheilkunde stand für mich fest, dass ich unbedingt mit Kindern arbeiten will. In der Kinderchirurgie fand ich schließlich beides. Und es ist auch bis heute die richtige Entscheidung geblieben.

POLA: Und was ist für Sie das Schönste an Ihrer Arbeit? Und was manchmal das Schwerste?

PD: Für mich ist ganz klar die Arbeit mit den Kindern das Schönste an meinem Beruf. Und dazu gehört auch die Arbeit mit den Eltern – denn seien wir ehrlich: wir Kinderärzte und Kinderchirurgen haben eigentlich immer Patienten im Doppelpack!

Und das Schwerste? Zum Beispiel ausreichend Ruhe für Gespräche mit meinen Patienten zu finden, das ist in unserem sehr verdichteten Arbeitsalltag oft sehr schwer. Oder auch die Behandlung von wirklich schwerkranken Kinder und die Betreuung der Eltern.

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Darüber hinaus begegnen wir leider immer wieder vernachlässigten oder misshandelten Kindern – und das ist vermutlich für jeden Arzt besonders schwierig. Für dieses Thema haben wir in unserem Klinikum in 2012 eine Kinderschutzgruppe etabliert.

POLA: Das klingt nach viel Arbeit und Verantwortung. Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

PD: Typisch an meinem Arbeitstag als Chefärztin ist, dass es immer viel zu tun gibt. Als Kinderchirurgin geht es an drei Tagen in der Woche morgens um 7 Uhr erst einmal in den OP. Vormittags trifft sich das Team zur Frühbesprechung und macht anschließend Visite auf der Kinderstation und auf der Kinder-Intensivstation.

Parallel dazu gibt es in unserer Kinderrettungsstelle den gesamten Tag viel zu tun. Wenn dort ein Notfall eingeliefert wird, müssen alle anderen Termine erst einmal zurückstehen. Dreimal wöchentlich untersuche ich noch meine kleinen Patienten in der Kinderchirurgischen Sprechstunde.  Und dann habe ich noch den normalen Alltag einer Chefärztin zu bewältigen, z.B. Mitarbeitergespräche, Teamsitzungen. Und gelegentlich darf ich auch Fragen von Journalistinnen beantworten. (lacht)

POLA: Was sind die häufigsten Verletzungen oder Unfälle bei Kindern?

Das meiste geht glimpflich aus.

PD: Ganz sicher sind das Schädel-Hirn-Traumata, also Verletzungen des Kopfs. Dies ist verständlich, wenn man bedenkt, dass der Kopf des Kindes im Verhältnis zu seinem Körper überproportional groß ist – im Vergleich zum Erwachsenen. Dadurch können auch scheinbar kleinere Stürze zu Kopfverletzungen führen, die stationär beobachtet werden sollten.

Durch unsere sogenannte BG Ambulanz, in der Schul- und Kitaunfälle behandelt werden, kommen auch viele Kinder z.B. mit Brüchen an den Extremitäten zu uns. Und wenn es wieder wärmer wird und die Fahrrad-Zeit beginnt, sehen wir auch viele Kinder nach einem Fahrrad-Unfall. Oft haben diese dann stumpfe Bauchtraumata. Aber glücklicherweise geht das alles meist glimpflich aus und die Kinder können schnell wieder nach Hause gehen.

Eine nicht ganz kleine Gruppe von Verletzungen stellen Verbrühungen und Verbrennungen dar. Oft geschieht durch Unachtsamkeit eine schwerwiegende Verletzung, die das Kind lebenslang als Folge begleitet.

POLA: Wie kann man Kinder besser davor schützen? Sollen wir unsere Kinder in Watte packen?

Die Eltern müssen das Kind fit fürs Leben machen.

PD: Ich bin da ganz klar: Kinder gehören nicht in Watte gepackt! Schützen kann man Kinder erst einmal dadurch, dass man als Eltern selber weiß, was unfallträchtig ist. Das Gros der Unfälle passiert ja im häuslichen Umfeld. Das bedeutet ganz einfach: Steckdosen, Ecken, Türen, Treppen sichern und Regale befestigen.

Wenn die Kinder dann größer werden, muss man ihnen natürlich auch Freiheiten lassen. Aber ich kann mein Kind im Vorfeld schützen, indem ich erkläre, was passieren kann und was die Folgen sein können. Eltern sollten ihre Kinder auf erwartbare Situationen vorbereiten, zum Beispiel den Schulweg anfangs gemeinsam gehen, dabei Gefahren aufzeigen und üben, was das Kind dann in genau dieser Situation tun kann.

In meinen Augen ist es ganz klar die Aufgabe der Eltern, ihre Kinder fit fürs Leben zu machen und sie dabei vor allem präventiv zu unterstützen. Als gängiges Beispiel fällt mir hier immer der Fahrradhelm ein. Tragen Eltern ganz selbstverständlich ihren Helm beim Fahrradfahren, fällt es auch den Kindern leichter. Gerade auch wenn diese älter werden. Wobei „älter“ auch schon ein 10jähriger Junge ist, der den Helm vermutlich uncool findet und ihn an der nächsten Ecke absetzt, sobald die Eltern aus dem Blickfeld sind. Hier sind die Eltern in meinen Augen gerade als Vorbild gefragt.

Und dann sollte man die Kinder wie gesagt einfach spielen lassen. Und ihnen etwas zutrauen.

POLA: Ab wann sollte man bei Verletzungen ein Krankenhaus aufsuchen?

PD: Im Prinzip kann man diese Frage gar nicht beantworten. Denn wenn Eltern unsicher sind, sollen sie sich natürlich an einen Arzt wenden. Die Frage ist nur, ob jedes Kind immer gleich in der Kinderrettungsstelle vorgestellt werden muss. Neben dem Kinderarzt kann man sich – gerade außerhalb der normalen Sprechstunden – immer auch an den Ärztlichen Bereitschaftsdienst wenden [z.B. Kinderärztlicher Bereitschaftsdienst in Potsdam, Hinweis der Redaktion]. Und selbstverständlich auch immer an die Kinderrettungsstelle des Krankenhauses [z.B. Kindernotaufnahme des Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam], wenn es schwerwiegende Probleme außerhalb der Sprechzeiten gibt.

Ich wünsche mir, dass Eltern sich wieder häufiger trauen, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen. Muss mein Kind mit einer kleinen Wunde unbedingt ins Krankenhaus, oder kann ich die Wunde auch selber reinigen und ein Pflaster würde dann ausreichen?

Mir ist aber auch wichtig zu betonen: Wenn Eltern unsicher sind, sollen sie zum Arzt gehen! Und wenn sie den Weg zu uns ins Krankenhaus suchen, kümmern wir uns selbstverständlich gerne um sie.

POLA: Was hilft Kindern besonders gut bei der Heilung?

Liebe ist ein Allround-Heilungsmittel.

PD: Liebe und Vertrauen der Eltern sind ganz wichtig für gesunde und kranke Kinder. Und ja, vielleicht kann man diese Liebe auch als Allround-Heilungsmittel bezeichnen. Und ganz praktisch gedacht: Eltern sollten Wunden sauber machen und sich ihrem Kind zuwenden.

Als Krankenhaus unterstützen wir diesen Aspekt schon lange mit unserem Rooming-In-Angebot. So können Eltern ihr krankes Kind ins Klinikum begleiten und so für den gesamten Aufenthalt des Kindes an seiner Seite bleiben.

POLA: Wie kamen Sie auf die Idee, in Potsdam eine Kinder-Akademie zu veranstalten?

Bergmanns Kinder-Akademie Potsdam

Bergmanns Kinder-Akademie: fragen, anfassen und ausprobieren!

PD: Eigentlich wollte ich so etwas schon immer machen, ursprünglich stellte ich mir einen Reanimationskurs für Kinder vor. Aber nun löchern mich Kinder in jeder Sprechstunde und seit so vielen Jahren mit ihren Fragen und wollen alles erklärt haben. Wie wächst ein Knochen wieder zusammen? Warum bummert mein Herz?

Mir fallen in diesen Situationen dann oft die wirklich kindgerechten Erklärungen nicht ein. Aber vielleicht gibt es ja Partner oder Kollegen, die mir helfen, das den Kindern zu erklären? Und da war die Idee der Kinder-Akademie geboren.

POLA: Welches Ziel verfolgen Sie mit der Kinder-Akademie?

PD: Bergmanns Kinder-Akademie will Kinder fit machen, was ihren eigenen Körper anbelangt. Und dies vor allem in einer Sprache, die die Kinder verstehen.
Auch wollen wir den Kindern das Krankenhaus näher bringen und ihnen zeigen, dass wir vieles tun, was nicht weh tut.

Gleichzeitig können wir den Kindern in diesem geschützten Rahmen der Kinder-Akademie in Ruhe erklären, dass es durchaus auch Situationen gibt, bei denen es nicht ohne Schmerzen geht, z.B. beim Blutabnehmen oder Gipsen. Und dass dies notwendig ist, um später wieder ganz gesund zu werden.

Es gibt noch so viele Themen, die wir den Kindern erklären wollen. Unsere Kinder-Akademie ist also langfristig gedacht und hat im nächsten Jahr dann neue Themen.

POLA: Was erwartet die Kinder in der Akademie?

PD: Was die Kinder nicht erwartet, ist stillsitzen wie in der Schule! Unser Motto ist: Fragen stellen, anfassen und ausprobieren. Wir werden mit den Kindern Ultraschall der Knochen und des Bauches ausprobieren, wir zeigen ihnen ein mobiles Röntgengerät und schauen uns Röntgenbilder an. Oder wir sehen uns Nägel an, mit denen wir Knochenbrüche versorgen, lassen die Kinder Verbände selber anlegen und Gipsschienen ausprobieren. Und noch ganz viele andere spannende Dinge. Die Kinder sollen lernen, dass Medizin meist nicht weh tut.

POLA: Das klingt toll! Haben Sie abschließend noch 5 Erste-Hilfe-Tipps für uns, die man bei Kindern anwenden kann?


5 Erste-Hilfe-Tipps

PD: Ohne viele Worte wären das:

  1. Beruhigen und selber ruhig bleiben
  2. Wunden reinigen mit normalem Wasser
  3. Einen vermuteten Bruch ruhig stellen – das geht auch mal mit einem Bauklotz
  4. Hilfe holen
  5. Und ein Erste-Hilfe-Päckchen macht im Haushalt und unterwegs natürlich auch immer Sinn!

POLA: Frau Dr. Degenhardt, wir danken Ihnen sehr für Ihre Zeit und die interessanten Einblicke in Ihre Arbeit und die vielen Tipps! Dürfen wir abschließend noch nach Ihrem Lieblingsort in Potsdam fragen?

PD: Das ist das Mamorpalais am Heiligen See. Auch ich bedanke mich für das Gespräch.

 

Und für alle Potsdamer hier nochmal alle wichtigen Links im Überblick:

Kinderärztlicher Bereitschaftssdienst in Potsdam

Mittwoch und Freitag 14-19 Uhr
Samstag, Sonntag und Feiertage 8-19 Uhr
Unter 0180 558 222 3315 wird die diensthabende Praxis angesagt und auf Wunsch gleich verbunden.

Bei älteren Kindern: Kassenärztlicher Bereitschaftsdienst
Telefon 116117

Kindernotaufnahme im Klinikum Ernst von Bergmann

Zentrum für Frauen- und Kinderheilkunde
Neubau F, Ebene 1
Charlottenstraße 72 (Zufahrt über die Gutenbergstraße)
24 h: (0331) 241 – 3 59 18

Bergmanns Kinder-Akademie

Start am Samstag, den 23.2.19 für Kinder von 8-12 Jahren. Weitere Informationen zu den einzelnen Terminen findet ihr in unserem Veranstaltungskalender.

Fotos: Klinikum Ernst von Bergmann

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