„Ich hasse Suppe!“ schreit mein Sohn über den Tisch. Er ist mit den Nerven am Ende, denn er will Kartoffelbrei zum Abendessen und zwar nur Kartoffelbrei, ausschließlich Kartoffelbrei! Es gibt aber Kartoffelsuppe. Vernunftsargumente sind aussichtslos, denn Wutlevel 3000 hat bereits voll reingekickt. Während der Rest der Familie mit hungrig erhobenem Löffel aufs Essen wartet, spitzt sich der Kartoffelkonflikt immer weiter zu. Je einfühlsamer ich versuche, ihm die Suppe aufzuschwatzen, desto mehr eskaliert das Kind. Außerdem mahne ich, dass wir unser Essen wertschätzen wollen und man Suppe nun wirklich nicht gleich hassen muss. Mit einem energischen Trockenschwimmzug über den Tisch stellt der Junge ein für alle Mal klar, was er von dem Gericht und meinem Vortrag hält. Wir Eltern wischen also die Suppe vom Boden, die der kleine Suppenhasser eigentlich hätte auslöffeln sollen.
Schließlich einigen wir uns auf ein deeskalierendes Butterbrot und können endlich alle essen. „Was war denn mit dem heute los?“, fragt mein Freund als alle Kinder im Bett sind. „Neulich hat er noch drei Teller Kartoffelsuppe verlangt und heute macht er uns den Suppen-Kasper?“ Ich sammle ihm gerade Kartoffelreste aus den Haaren, da fällt mir ein, dass ich genau zu diesem Verhalten erst kürzlich einen Artikel gelesen hatte. Ich erinnere mich, dass eine Pädagogin in dem Text erklärt hat, dass es für kleine Kinder sehr anstrengend sei, dem Tagesablauf in der Kita zu folgen. Für das Funktionieren der Gruppe müssten sie sich an allerlei Regeln halten, sich unterordnen und anpassen. Das Zurechtfinden in einem Sozialgefüge koste Kraft und wäre emotional herausfordernd, erklärte die Autorin. Kinder erlebten an einem einzigen Tag eine regelrechte Achterbahnfahrt der Gefühle. Zur Abholzeit wäre dann oft keine Energie mehr für kooperatives Verhalten übrig. Wut, Tränen oder Trotz seien laut der Expertin ein Ventil, um die ganze Anspannung des Tages einfach mal loszulassen. Und zwar genau da, wo das Kind am meisten Vertrauen hätte: bei den Eltern.
Die Kartoffel-Katastrophe meines Sohnes, der erst seit ein paar Wochen in dem herausfordernden Kita-Alltag steckt, ist demnach ein Zeichen von Ermüdung. Sein „Ich hasse Suppe!“ bedeutet nichts anderes als „Mir reicht es jetzt mit der Kooperation. Ich kann nicht mehr: Kartoffelbrei oder Randale!“. Kleinen Kindern fehlt noch die emotionale Selbstregulation. Oder anders gesagt, sie tun gar nicht erst so, als wären sie kompromissbereit, wenn sie dafür einfach keine Kraft mehr haben. In solchen Fällen hilft meist nur viel Liebe und ´ne ordentliche Umarmung. Und das fordert dann wiederum die Erwachsenen. Die müssen in dem ohnehin schon anstrengenden Alltag mit Job, Verpflichtungen, schlimmer Weltlage, Migräne, Erschöpfung, Geldsorgen und Selbstzweifel auch noch die Emotionen der Kinder adäquat abholen. Uff.
Darf’s noch ein bisschen mehr sein?
Nun muss man wirklich kein Kitakind sein, um am Ende des Tages den Kanal voll zu haben. Ich selbst kenne das nur zu gut. Besonders als Berufsanfängerin gab es Tage, an denen ich morgens halb zehn schon lieber in die Tischkante gebissen hätte als in einen Knoppers: Kaffee alle, Bahn verpasst, Chef im Kinsky-Modus und so weiter und so fort. Wenn mir abends dann einer mit ́nem Kamillentee gekommen wäre, obwohl es ganz klar ein Gin Tonic-Tag war, wäre ich auch ausgeflippt. Alles hat seine Grenzen. Auch Erwachsene leiden unter dem ständigen Druck, funktionieren zu müssen. Wer außerdem Erziehungsarbeit leistet, dealt nicht nur mit dem eigenen emotionalen Ballast, sondern auch noch mit dem des Nachwuchses. Zumindest bis dieser ca. 5 Jahre alt ist. Erst dann können kleine Menschen mit ihren Emotionen so umgehen, dass nicht gleich die Hölle losbricht, nur weil das falsche Abendessen auf dem Tisch steht. Solange schauen sie sich bei den Erwachsenen ab, wie diese der kindlichen Wut, Verzweiflung und Erschöpfung begegnen. Wenn Kinder erleben, dass sie auch bei Gefühlsausbrüchen liebevoll behandelt werden, können sie das als Selbstberuhigungsstrategie übernehmen. Das klingt gut, ist aber oft besonders hart, wenn die Kartoffel-Krise allen den letzten Nerv raubt. Gerade wenn man seine innere Sonne am dringendsten braucht, sind da nur Gewitterwolken.
Schwung für die Stimmung
Manchmal hole ich das Kind aus der Kita und bin einfach froh, mal gepflegt neben dem Buddelkasten ins Nichts starren zu können oder aufs Handy (Don´t judge me!). So wie neulich. Da saß ich nach einem beschissenen Tag auf dem Spielplatz und wollte in Ruhe alles scheiße finden. Plötzlich stand mein Sohn mit Schippe und Förmchen vor mir und wollte, dass ich mit ihm buddele. Ich beugte mich zu ihm runter und sagte mit süßester Stimme: „Mein Schatz, ich hasse buddeln! – Aber wenn Du willst, können wir schaukeln gehen.“ – Das soll nämlich sehr beruhigend wirken, egal, wie alt man ist.
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