Jeder Stillweg ist anders und keiner ist besser oder schlechter. Mal endet die Stillzeit für eine Mutter ungewollt vorzeitig, mal sehnt die Mutter das Ende herbei. Die wichtigsten Fragen und Antworten rund ums Stillen beantwortet euch die Hebamme Janis Schedlich in unserem Interview.
POLA Magazin: Wie kann ich mich vorab zum Stillen informieren?
Janis Schedlich: Sinnvoll ist es, bereits in der Schwangerschaft ein Gespräch mit deiner Hebamme zu suchen und das Stillen zu besprechen. Dabei könnt ihr auf deine Fragen eingehen und Unsicherheiten aus dem Weg räumen. Es kursieren schließlich genug Horrorgeschichten rund ums Kinderkriegen. Auch Besonderheiten können besprochen werden, so zum Beispiel, ob du wegen eventuell flacherer Brustwarzen einen Brustwarzenformer schon vor der Geburt tragen könntest.
Ich finde es sehr wichtig, wenn dein Partner bei den Hebammenterminen dabei sein kann und die Infos ebenfalls erhält. Es ist bedeutsam, dass er die Entscheidung zu stillen mitträgt und unterstützt. Ich rate, dass ihr euch rechtzeitig mit der zukünftigen Ernährung eures Kindes auseinandersetzt und miteinander redet. Die Hebammenhilfe ist eine Leistung der gesetzlichen und fast aller privaten Krankenversicherungen und steht jeder Frau ab Beginn der Schwangerschaft zu.
Muss ich das Stillen vorbereiten?
Das Geniale ist, wahrscheinlich musst du gar nichts machen. Wenn nach der Geburt deines Babys auch der Mutterkuchen geboren ist, ist die Schwangerschaft vorbei. Das Schwangerschaftshormon wird abgebaut. Gleichzeitig steigt die Produktion des milchbildenden Hormons Prolaktin. Das Saugen deines Babys an der Brust sorgt dafür, dass du Milch bildest. Saugt es häufig an der Brust, so bildest du viel Milch. Saugt es selten oder zu schwach, produzierst du weniger. Sprich, wenn du nach der Geburt regelmäßig anlegst, so setzt die Milchbildung automatisch ein.
Was macht dein Baby für den Stillerfolg?
Auch da hat die Natur alles im Griff. Dein Baby ist mit angeborenen Reflexen auf die Welt gekommen. Die für das Stillen wichtigen Reflexe sind der Suchreflex und der Saug- und Schluckreflex. Berührst du die Wange deines Babys, dreht es seinen Kopf in die Richtung der Hand und öffnet den Mund. Die Berührung wirkt wie ein Signal: Da gibt es was zu essen! Nach etwa drei bis vier Monaten verliert sich der Reflex. Tipp: Babys suchen immer, wenn man an der Wange streichelt. Das muss nicht immer Hunger bedeuten. Manche frisch gebackene Eltern fürchten, ihr Baby könnte immer hungrig sein, wenn sie das beobachten.
Stillen mit Stillhütchen. Rettung oder Untergang?
Gar nicht so selten wird in den ersten Tagen nach der Geburt zum Stillhütchen gegriffen. Sei es, weil dein Baby deine Brustwarze nicht greifen kann oder sie immer wieder aus dem Mund fluppt. Vielleicht ist dein Baby momentan einfach noch zu schwach, um ein Vakuum beim Stillen zu erzeugen und den Nippel im Mund zu halten. Möglicherweise liegt es an deinen ohnehin relativ flachen Brustwarzen oder Schlupfwarzen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass deine Brüste durch den Milcheinschuss sehr prall sind. Eventuell weil deine Brustwarzen wund und malträtiert sind.
Am wahrscheinlichsten ist es jedoch, dass du nicht richtig angeleitet wurdest und du nach der anstrengenden Geburt und Zeit in der Klinik einfach fertig bist. Die Hormone sorgen für den Rest… Deshalb: Wenn das Stillen nicht reibungslos funktioniert, wende dich bitte zuerst an deine Hebamme oder eine Stillberaterin. Wenn dein Baby gründlich untersucht wurde (Zungenbändchen usw.), die richtige Anlegetechnik geübt wurde und das Anlegen trotzdem nicht funktioniert oder die Nerven einfach blank liegen und eine schnelle Lösung her muss, kann das Hütchen die Rettung sein.
Beim Stillen mit dem Hütchen musst du darauf achten, dass dein Baby weiterhin gut zunimmt, weil es sein kann, dass die Milchproduktion nicht optimal funktioniert (weil der direkte Hautkontakt fehlt). Aber mach dir bitte keinen Stress. Das Stillen mit Hütchen klappt oft ganz hervorragend und sogar Monate lang.
Wie lege ich mein Baby richtig an?
Bitte mache es dir beim Stillen so richtig bequem!!! Du bist die Königin! Du möchtest ja das Stillen genießen und da wäre es blöd, wenn dein Nacken verspannt. Ein Stillkissen und ausreichend kleine Kissen zum Abstützen sind hilfreich.
Achte darauf, dass du dein Kind zur Brust holst und nicht die Brust zum Kind. Mach es dir also gemütlich und bring dein Baby in die richtige Position. Es sollte dabei ganz entspannt auf der Seite liegen. Bauch an Bauch mit dir. Ohr, Schulter und Hüfte in einer Linie. Der Mund vor der Brustwarze.
Sollte dein Baby dabei Hilfe benötigen, die Brustwarze zu finden, so umfasse deine Brust mit dem so genannten C Griff. Dabei umfasst du deine Brust von unten, so dass du mit Daumen und Zeigefinger an die Brustwarze ein kleines bisschen zusammendrücken kannst. Achte darauf, dass du mit den Fingern weit genug von der Brustwarze entfernt bist. Wenn dein Baby den Mund öffnet, so führe es an die Brustwarze heran. Durch den Saugreflex fängt es an zu trinken. Hat dein Kind mehrere heftige Schlucke getrunken, hat es ein Vakuum erzeugt und du kannst die Brust loslassen.
Dann solltest du nur noch kontrollieren, dass die Unterlippe deines Babys auch so umgestülpt ist wie die obere Lippe. Ist dein Baby richtig angedockt, tut auch nichts weh. Wenn doch, lass es bitte von deiner Hebamme kontrollieren! Die verschiedenen Stillpositionen wie zum Beispiel das Stillen im Liegen, der Wiegegriff oder die Fußballhaltung übst du am besten mit deiner Hebamme.
Brauche ich eine Milchpumpe?
Stellt sich heraus, dass dein Baby in den ersten Tagen nach der Geburt noch etwas saugschwach ist, so ist es sicherlich sinnvoll, eine elektrische Milchpumpe einzusetzen, um die Milchbildung zu unterstützen. Manchmal ist sie auch nötig, um strapazierte Brustwarzen zu entlasten. Vereinzelt ist es einfach gut, wenn sie im Haus ist, weil zum Beispiel Zwillinge erwartet werden. Vielleicht willst du einfach ein paar Wochen nach der Geburt alleine eine Pizza essen gehen? Ob das Pumpen in manchen Situationen sinnvoll ist und wie du es am besten machst, besprichst du auch mit deiner Hebamme. Mit einem Rezept vom Arzt kannst du eine Milchpumpe übrigens einfach in einer Apotheke ausleihen.
Was tun gegen wunde Brustwarzen?
Die korrekte Anlegetechnik und das regelmäßige Abwechseln zwischen den Stillpositionen sind das A und O. Lass bei wunden Brustwarzen also unbedingt deine Hebamme nochmal draufschauen. Am besten ist es, wenn du deine Brustwarzen nach dem Stillen erstmal an der Luft trocknen lässt, bevor du den BH wieder verschließt. Möglicherweise hilft es, Lanolin (speziell gereinigtes Wollfett) auf die Brustwarzen aufzutragen.
Ist Stillen ein Muss?
Nein. Es gibt Fälle, in denen es für alle Beteiligten am besten ist, auf das Fläschchen zurückzugreifen. Diese Entscheidung ist ein Prozess und muss wohlüberlegt sein, denn hat Frau einmal abgestillt, ist es fast unmöglich, die Milch zurückzuzaubern. Tipp: Gib deinem Kind lieber freudig die Flasche, als ihm unglücklich die Brust zu reichen, denn damit eine Familie zusammenwachsen kann, müssen sich alle wohlfühlen.
Heutzutage muss sich auch niemand verrückt machen und ein schlechtes Gewissen haben, wenn das Baby mit einer industriell hergestellten Milch ernährt oder zugefüttert wird. Die Säuglingsmilch unterliegt strengen Kriterien und ist so optimal und hochwertig hergestellt, dass eine gesunde Ernährung gewährleistet ist. Damit wirklich wohlüberlegt gehandelt wird, rate ich wie immer: Wende dich zuerst an deine Hebamme oder Stillberaterin.
Liebe Janis, wir danken für das Interview!
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