Kolumne: Arbeit ist das halbe Leben

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Ich weiß nicht mehr, was zuerst da war: Die Arbeit oder das Erwachsenwerden? Sicher ist jedoch: sobald Du arbeiten musst, um Deinen Lebensunterhalt zu finanzieren, bist Du erwachsen. Und weil die Arbeit ganz schön viel Lebenszeit beansprucht, wissen schon kleine Kinder, dass es sich um etwas Wichtiges handeln muss. Jeden Morgen, wenn wir das Kind in die liebevollen Betreuungshände geben, verabschieden wir uns mit dem Satz: „Tschüss, ich geh jetzt arbeiten.“ und an einem Montag fragt das Kind mich plötzlich: „Was arbeitest Du?“ Nachdem ich mich erst hilflos in langen Erklärungen zu meinem Studium und meinem beruflichen Werdegang verstrickt hatte, einigen wir uns schlussendlich darauf, dass ich am Computer arbeite.

Am Nachmittag, als ich ihn abhole, will ich das Thema nochmal aufgreifen, denn Arbeit ist allgegenwärtig und vielleicht gerade deswegen oft unsichtbar. Auf dem Heimweg erkläre ich also die Konzepte Ausbildung, Arbeit, Rente oder Arbeitslosigkeit mithilfe der Familienmitglieder und wir sehen Straßenbahnfahrerinnen und Baggerfahrern dabei zu, wie sie ihre Arbeit machen. Ich frage meinen Sohn dann, ob seine Tagesmutter auch eine Arbeit hat? Er sieht mich an, als hätte ich einen Fisch gefragt, wie das Wasser ist und antwortet: „Nein, J. hat keine Arbeit.“ – Für ihn absolut logisch, wann soll sie auch arbeiten? Sie passt ja den ganzen Tag auf fünf kleine Kinder auf.

Das ist natürlich lustig, wenn es von einem Zweijährigen kommt. Es zeigt aber auch, dass Arbeit, die wir für selbstverständlich halten, oft unbemerkt bleibt. Dagegen wird Arbeit, die plötzlich niemand mehr macht, erschreckend sichtbar. Das erfährt man schmerzlich, wenn man einen Klempner braucht oder eine Hebamme. Unfreundliche Menschen, die viel älter sind als zwei Jahre, würden sich wundern, wie schlecht man mitunter Mehl und Öl horten kann, wenn es einem niemand mehr verkauft. Und als im Lockdown keiner mehr da war, der meiner Tochter pädagogisch geschult erklären konnte, warum genau jetzt eigentlich die Banane krumm ist und wie man den Neigungswinkel bei Vollmond berechnet, habe ich gemerkt, dass es gar nicht so leicht ist, jemandem etwas beizubringen, ohne dass sich beide die Haare raufen oder ausziehen wollen.

Endgegner Mittagsschlaf

Dass Wertschätzung eine wichtige Sache ist, hat auch schon mein Zweijähriger verstanden, der mich und seinen Vater nun jeden Tag mit dem Satz: „Du kannst ganz toll arbeiten.“ verabschiedet. Geld und Prestige sind in der Arbeitswelt trotzdem ganz schön ungerecht verteilt. Trägt jemand für den Job Anzug, Kostüm oder einen weißen Kittel, sind Einkommen und Ansehen hoch. Trägt jemand beruflich unsere Kinder auf dem Arm und die Verantwortung für ihr Wohlergehen, bis wir sie wieder abholen, ist es mit der Wertschätzung oder Entlohnung oft nicht so dolle.

Und das ist ziemlich bemerkenswert, denn gerade Erzieher/innen und Tagespflegepersonen verfügen offensichtlich über unbezahlbare, magische Kräfte. Wie sonst ist es zu erklären, dass sie es schaffen, mehrere Kleinkinder gleichzeitig zum Schlafen zu bringen? Eine Aufgabe, von der ich glaube, dass sogar David Copperfield seine lieben Probleme damit hätte und der hat immerhin schon mal die Freiheitsstatue vor den Augen der Welt verschwinden lassen.

Eigentlich unbezahlbar

Wir können froh sein, wenn es Leute gibt, die Jobs machen, von denen wir alle abhängig sind und manchmal sind wir nicht nur froh, sondern richtig dankbar, wenn Menschen ihre Arbeit sogar gerne machen. Die Tagesmutter meines Sohnes z.B. füttert, wickelt, tröstet und bespaßt jeden Tag fünf Kleinkinder. Sie bastelt selbst Lernspiele und mit den Kindern Geschenke für Mutter- und Vatertag. Ich kann mich nur deshalb auf meine eigene Arbeit konzentrieren, weil ich weiß, dass mein Kind dort liebevoll umsorgt wird und zwar so, dass sie mir um 16 Uhr ein rundum glückliches Kind übergibt. Vielleicht ist genau das der Grund, warum mein Sohn glaubt, dass seine Tagesmutter keine Arbeit hat. Es macht ihm einfach zu viel Spaß dort, als dass es für sie eine Verpflichtung sein könnte. So gut muss man seinen Job erstmal machen. Das geht nur mit Liebe. Danke dafür!

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