Kolumne: Verräterschweine

Kolumne Kinderunterhaltung Peppa Wutz

In der Welt der Kinderunterhaltung gibt es genau zwei Kategorien: pädagogisch wertvoll und Schund. Die Einteilung ist absolut simpel, sodass jeder ihr problemlos folgen kann. Es gibt nur ein Problem: Was wertvoll ist und was Schund, hängt davon ab, wen man fragt. Trotz der elterlichen Vorsätze gewinnen am Ende doch meist die kleinen Spaß-Experten und schon ist alles voll mit Paw-Patrol-Elsa-Ninjago-Feuerwehrmann-Filly-Gedöns. Umso schöner ist es, wenn sich der gemobbte Pädagogikanspruch und das sensationshungrige Spielkind mal einigen können.

Eine der wenigen erträglichen Unterhaltungs-Inseln in einem Meer aus Mumpitz ist bei uns Peppa Wutz. Die 5-minütigen Folgen rund um ein weibliches Zeichentrick-Ferkel erzählen lustig von Situationen aus dem kindlichen Alltag. Ja, manchmal springt meine innere Sexismus-Ampel auf Rot, wenn wieder nur in alten Rollenbildern erzählt wird, und digitale Unterhaltung gilt sowieso als Crystal Meth der frühkindlichen Hirnentwicklung, aber nie lacht mein Sohn so herrlich atemlos wie bei den spaßigen Schweinchen. Kein Wunder, dass ich Engelsglöckchen und ein Halleluja hörte, als ich eines Morgens auf dem Weg in die Kita ein Plakat sah, das ein Theaterstück von Peppa Wutz bewarb. Wundervoll, eine Kulturveranstaltung mit Fernsehfiguren ergibt ja wohl eine astreine Kindheitserinnerung. Er mag das bunte Plakat. Wir sind also begeistert. 

Am großen Show-Tag hole ich meinen aufgeregten Sohn aus der Kita ab, zahle den Eintritt und noch bevor wir den Saal richtig betreten haben, verblitzt uns der Abzocke-Stand auch schon die Sehkraft. Blinkende Bälle, greller Glitzerkram und fluoreszierender Firlefanz stehen allen Ernstes schräg vor der Bühne und direkt daneben duftendes Zuckerzeug in unnatürlichen Farben. Alle müssen ihre geiernden Blagen an der Karies-Kirmes vorbeizerren, um zu den Sitzplätzen zu gelangen. In der Pause darf man sein bockiges Kind für 2 Euro mit der Peppa-Figur fotografieren und ich bin auf einmal überzeugt, dass hier der Begriff „Kapitalisten-Schwein“ entstanden sein muss. Das Stück erzählt zudem eine Story, die so zusammenhanglos wirkt, als hätte man den Fiebertraum eines Kleinkindes inszeniert. Was auch die gruselige Optik der Wutz-Figuren erklären würde. Auf der Mattscheibe und in 2D-animiert kommen die Ferkel zwar mit leichten Picasso-Vibes daher, wirken aber dennoch recht putzig. Als 1 m-große Puppen sehen die abstrakten Rüsseltiere mit den toten Augen leider aus, als wäre man auf einem miesen LSD-Trip hängen geblieben. Mein Sohn ist trotzdem voll bei der Sache.

Petzen ist voll in Ordnung

Als die Geschichte von Peppa und ihrem Bruder Schorsch auf großer Schatzsuche aus irgendeinem Grund an den Punkt kommt, wo die Schatzkarte in einer stinkenden Höhle vor dem Wolf versteckt werden muss, bitten die beiden darum, dem Wolf nichts zu verraten. „Können wir euch vertrauen, oink? Ihr werdet uns nicht verraten, grunz?“ Alle Kinder schreien: „Jaaaaaa!“ Dann kommt der Wolf und der stellt nur Fragen. Mir bleibt der Mund offen stehen, als ich meinen lieben, kleinen Jungen dabei beobachte, wie er seine Helden anstandslos und ohne zu zögern im Kollektiv ans Messer liefert. Die Details zum Auffinden der Schatzkarte brüllt er der Vollständigkeit halber noch ungefragt hinterher. Schelmisch und zufrieden grinst er in meine Richtung, als der Wolf die Karte einheimst, während ich schwer damit zu tun habe, dass man meinem Kita-Judas nicht mal 30 Silberlinge bieten musste, um ihn zum Verräter zu machen. Ich beuge mich also zu ihm rüber und frage, warum er verraten hat, wo Peppa und Schorsch die Karte versteckt haben? „Jetzt bekommt der Wolf ja den Schatz”, insistiere ich. Meinem Sohn weicht plötzlich alle Farbe aus dem Gesicht, als er realisiert, was sein Verhalten bedeutet. 

Das ist laut Entwicklungspsychologen auch total altersgerecht. Für meinen Vierjährigen ging es nämlich nur um seine eigenen Interessen. Er wollte Aufmerksamkeit erlangen. Nach dem Motto: „Scharrt euch um mich, ich weiß was!“ hat er schlicht gelästert. Vorsätzlichen Verrat kann er noch gar nicht. Erst im Alter von ungefähr 6 Jahren sind Kinder in der Lage, die Konsequenzen für andere in ihr Verhalten einzukalkulieren. Zwischen 3 und 5 Jahren findet die Gehirnentwicklung statt, die zu dieser Form der Empathie befähigt. Bis dahin hat das Petzen oft die Funktion, Regelsysteme zu überprüfen. 

Mein Sohn kann ganze Nachmittage damit füllen, von den Verfehlungen seiner Kita-Kumpels zu berichten. Er erzählt im Grunde, dass er bestimmte Regeln verstanden hat und fragt ab, ob sie auch für die anderen Kinder gelten. Es macht ihm sichtlich Freude, wenn ich mich künstlich über die kleinen Übeltäter aufrege. Mit jedem neuen Detail peitscht er meine Empörung stolz weiter in die Höhe. In Spielsituationen kann das vermeintliche Anschwärzen jedoch auch Ausdruck von Überforderung sein. Hinter der kolportierten Ungerechtigkeit steckt oft die Bitte um Hilfe. Eltern von Geschwisterkindern kennen das nur zu gut. Bei Streitigkeiten bräuchte man eigentlich ein CSI-Team, um rauszukriegen, wer sich in welcher Form wie schuldig gemacht hat.

Da ist es beruhigend zu wissen, dass tatsächliche Rechtsprechung im Vorschulalter meistens gar nicht gefragt ist. Vielmehr geht es um aktives Zuhören und Nachhaken, sodass aus kleinen Peppa Wutz-Fans irgendwann kompetente Erwachsene mit moralischem Kompass werden, die dem geldschneidenden Verrat am Puppentheater wirklich nur ein einziges Mal auf den Leim gehen.

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