Drama auf zwei Beinen aka die Bock-Performance

Kleinkinder, Erziehung, Backphase, Trotzphase, Elternsein, Kolumne

Wusstet ihr, dass Kleinkinder sich überhaupt nicht an gesellschaftliche Konventionen halten? Die sind komplett ungeeignet für die Öffentlichkeit. Jede emotionale Regung wird sofort und ohne Filter nach außen getragen. Ist die prekäre Ereigniskette erstmal losgetreten, kann man den Verlauf nicht mehr stoppen. Keine Chance! Die Szenenabfolge ist dabei immer die gleiche: Der erste Akt beginnt mit einem kindlichen Bedürfnis oder einer „Idee“, die Aufsichtsperson erkennt das Begehren und hält es für ungeeignet. Das Vorhaben wird versagt oder gleich vereitelt, emotionale Katastrophe des Kleinkindes als Grande Finale. Ein Beispiel: Schokolade? Nein! Wutanfall!!! – Vorhang.

Kleinkinder sind sehr schnell enttäuscht, wenn es nicht so läuft, wie sie es sich wünschen. Und eigentlich geht es uns doch genauso. Wir wollen alle das große Stück Kuchen, den besten Platz und 6 Kugeln Eis. Wir haben nur gelernt, uns zurückzunehmen, zu mäßigen, diszipliniert zu sein. Und vor allem haben wir gelernt, uns zu schämen für die dreiste Gier. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht hungrig in uns pocht, wenn nur noch ein Stück Pizza da ist. Wir sind kultiviert und an die Enttäuschung gewöhnt. Wie oft habe ich sie schon freundlich weggelächelt? Geburtstagsgeschenk vergessen? Macht doch nix. Den letzten Joghurt vernichtet? Kein Problem. Ein Feuerlöscher zu Weihnachten? Danke, Brandschutz ist ein wichtiges Thema!

Klassische Eskalation

Das tut man ja alles nur für den anderen, weil wir ahnen, dass unsere wahren Gefühle belastend für die zwischenmenschliche Beziehung sind. Niemand will eine Last sein. Also reißen wir uns zusammen. Wir halten uns an die Etikette, nicht auszuflippen. Eine ehrliche Reaktion sähe vielmehr so aus: Fahr nach Hause und hol das verdammte Geschenk! Ich will jetzt meinen Joghurt! Gleich brennt hier der Baum, dann benutz ich den Feuerlöscher direkt in Deinem Wohnzimmer. Was´ los mit Dir, Oma? Der Anstandsfilter für die korrekte Verhaltensnorm fehlt bei meinem kleinen Sohn noch komplett und das ist irgendwie sehr erfrischend. Man hat einfach viel weniger Fragen. „Jetzt bin ich sauer!“, „Ich will mehr!“ oder „Das schmeckt nicht!“ lässt nicht viel Spielraum für wohlmeinende Interpretationen. Und das haltlos Direkte ist leider auch sehr komisch. Ich frage mich manchmal, ob das Kind Schäden davonträgt, weil ich so amüsiert auf das tägliche Drama reagiere. Ich meine, er wirft sich wirklich im Supermarkt auf den Boden und ein bisschen wirkt es eben wie eine Parodie, die er unmöglich ernst meinen kann. 

Die Bock-Performance geht so: Er legt erst den Kopf in den Nacken, verzieht das Gesicht, heult und geht dann auf die Knie wie ein Großvater, der seinem Enkel die Schuhe zubinden will. Bäuchlings angekommen trommelt er mit Armen und Beinen auf den Boden und ich finde die Szene so gelungen, dass ich laut lachen muss. Ich hebe ihn dann auf und tröste natürlich, denn sein Schmerz ist ja echt. Auch, wenn es sich nur um ein vorenthaltenes Brötchen handelt.

Dein inneres Kind muss mal umarmt werden

Ich denke oft, dass wir zu leichtfertig sind mit dem Ratschlag, man sollte sein inneres Kind bewahren. Einige Leute legen dann nämlich in aller Früh Handtücher auf Strandliegen, um damit zu sagen „das ist MEINS“. Sie drängeln vor, weil sie´s nicht abwarten können oder fahren 80km/h in der Fußgängerzone, weil sie unbedingt erster sein müssen. Nicht jeder hat verstanden, dass damit das Zwanglose, die Offenheit im Denken und Fühlen sowie der vorurteilsfreie Umgang gemeint sind.

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Es ist nicht nur für Kleinkinder schwer, mit diesen ganzen Gefühlen umzugehen. Glück ist uns allen sehr willkommen. Das zeigen wir täglich und zu Hauf in quadratischer Form im Netz. Aber Enttäuschung, Trauer, Wut und Verletzung haben weder digital noch real viel Platz. Dabei weiß doch jeder, dass sie am besten in tröstenden Umarmungen aufgehoben sind, egal wie alt man ist. 

Text: Andrea Glaß

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