Vielleicht kennst du die Situation auch: Dein Kind ist morgens schlecht gelaunt, trödelt und wenn ihr endlich an der Schule ankommt, endet das Ganze in Tränen: „Mama, ich will nicht in die Schule!“ Was ist da los? Und was kannst du als Mutter oder Vater tun?
Wichtig zu wissen: der Begriff „Schulangst“ ist ziemlich ungenau. Schulpsychologinnen und -psychologen unterscheiden zwischen sozialen Ängsten, Trennungs- und Leistungsängsten oder auch Angst vor konkreten Ursachen wie Mobbing oder Überforderung. All diese Gründe können zu einer Vermeidung der Schule und „Absentismus“, dem häufigen Fehlen im Unterricht, führen. Psychologin Dr. Maren Wolber, Vertreterin des Landesverbandes Schulpsychologie Baden-Württemberg, erklärt euch in unserem Interview, was sich hinter der Angst vor der Schule verbergen kann und was ihr als Eltern tun könnt.
Mein Kind will nicht in die Schule – Was kann ich tun?
POLA Magazin: Mein Kind geht in die erste Klasse. Nach einigen Wochen weint es auf einmal beim Bringen und will partout die Schule nicht mehr betreten. Wie reagiere ich als Mutter oder Vater in dieser Situation am besten?
Dr. Maren Wolber: Da es viele verschiedene Gründe für dieses Verhalten geben kann, ist es zunächst wichtig, mit dem Kind darüber zu sprechen und die Ursachen zu erkennen. Hilfreich ist dabei auf jeden Fall, die Beobachtung mit der Klassenlehrkraft zu besprechen. Gibt es Dinge in der Schule, die das Kind fürchtet? Das kann das Verhalten mancher Mitschüler:innen oder Lehrkräfte sein, aber auch bestimmte Inhalte oder Aufgaben in der Schule oder konkrete Situationen. Gerade Kleinere kommen oft mit dem langen Stillsitzen, den festgelegten Pausen oder auch mit dem Weg zur Toilette oder dem Schulweg selbst nicht zurecht. In erster Linie ist es gut, wenn Eltern ruhig und gelassen bleiben und dem Kind signalisieren, dass sie gemeinsam mit ihm nach Lösungen suchen.
Außerdem sollten Sie als Mutter oder Vater Ihrem Kind zeigen, dass es Ihrer Meinung nach die Situation bewältigen kann. Es hilft sicher, wenn Sie sein Selbstvertrauen stärken, indem Sie seine Fähigkeiten und Stärken – und nicht nur seine momentane Angst vor der Schule – sehen und fördern. Auch indem Sie den Kontakt zu anderen Kindern in der Schule stärken, können Sie Ihr Kind unterstützen, zum Beispiel, indem Sie Klassenkamerad:innen, die Ihr Kind mag, auch einmal zu sich nach Hause einladen. Lassen sich allerdings Ursachen erkennen, die eine tatsächliche Bedrohung darstellen, wie Mobbing oder Gewalt in der Schule oder dauerhafte Überforderung, sollten Sie diese natürlich als Eltern ernst nehmen und sich gegebenenfalls professionelle Unterstützung suchen.
An wen können sich Eltern wenden, die professionelle Hilfe suchen? Und was versteht man eigentlich unter „Schulangst?“
Benötigen Eltern und Lehrkräfte Unterstützung bei der Erkennung der Ursachen, zum Beispiel um schulische Überforderung, Teilleistungsstörungen oder das Ausmaß von Ängsten zu bestimmen, ist eine Beratung durch eine Beratungslehrkraft in der Schule selbst, eine:n Schulpsycholog:en oder oder eine:n niedergelassene:n Kinder- und Jugendpsychotherapeut:in sinnvoll. Dies gilt auch bei der Entwicklung von Bewältigungsstrategien oder im erzieherischen Umgang mit dem Kind.
Schulangst ist ein ungenauer Begriff für verschiedene Phänomene. In der aktuellen Literatur spricht man von Schulvermeidung oder Schulabsentismus, da eine anhaltende „Schulangst“ meist zu unregelmäßigem Schulbesuch oder sehr langen Fehlzeiten führt. Soziale Ängste, Trennungsängste, Leistungsängste, andere Angststörungen oder reale Angst vor Bedrohungen oder Überforderung können sich hinter dem Begriff „Schulangst“ verbergen. In der Literatur finden wir folgende Kriterien, um Schulangst zu definieren: ausgeprägte Fehlzeiten (ein Viertel der Unterrichtszeit innerhalb von zwei Wochen oder 15% innerhalb von 15 Wochen), emotionale Symptomatik und Widerstand in Zusammenhang mit dem Schulbesuch sowie Leistungsabfall, sozialer Rückzug oder Konflikte mit Eltern und der Schule im Alltag sowie häufig auch körperliche Erkrankungen.
Mein Kind bringt die erste schlechte Note nach Hause und ist am Boden zerstört. Was raten Sie Eltern, um den Leistungsdruck nicht noch mehr zu erhöhen?
Was Sie als Mutter oder Vater auf jeden Fall tun können, ist, die eigene Enttäuschung beiseiteschieben und nicht zu schimpfen. Erkennen Sie an, dass das Kind ohnehin traurig oder enttäuscht über die Note ist. Letztlich ist es eine gute Situation, um mit dem Kind zu lernen, wie man mit Herausforderungen und Stresssituationen umgehen kann. Gibt es günstige Erklärungen für die Note? „Ich habe zu wenig gelernt“, „ich habe mich ungünstig vorbereitet“, „ich habe den Stoff nicht verstanden und brauche Unterstützung“? In dem Fall kann man gemeinsam Pläne schmieden, wie das Kind damit umgehen kann. Fragen Sie sich immer: Welche eigenen Stärken und Ressourcen gibt es, die das Kind einsetzen kann?
Mein Kind wird in der Schule von Mitschüler:innen unter Druck gesetzt oder sogar gemobbt. Was kann ich als Mutter oder Vater tun?
Nehmen Sie Kontakt zur Klassenlehrkraft auf und bitten Sie die Schule um Unterstützung. Interventionen sollten in der Schule stattfinden und von dort organisiert werden. Schulen haben in der Regel Handlungspläne und Strategien im Umgang mit Mobbing und Gewalt und können sich ebenfalls Beratung und Unterstützung, zum Beispiel von der Schulsozialarbeit, den Schulpsychologischen Diensten oder anderen Anlaufstellen holen. Eltern können dies auch einfordern. Eher ungünstig ist oft der Versuch, die Probleme außerhalb der Schule unter den Eltern zu regeln. Weiterhin sollten Sie natürlich versuchen, als Mutter oder Vater Ihr Kind zu stärken, andere soziale Beziehungen fördern und mit dem Kind Bewältigungsstrategien entwickeln.
Welche Erfahrungen machen Sie innerhalb der Schulen als Schulpsychologin mit Kindern, Eltern und Lehrer:innen? Was läuft im Schulalltag gut, wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
In letzter Zeit sind viele Eltern und Lehrer:innen sensibler im Umgang mit dem Thema Schulvermeidung. Ängste werden früher als Schwierigkeiten erkannt und es wird von Seiten der Schule manches Mal früher interveniert. Seit einiger Zeit beobachten wir auch, dass die Kinder, die mit schulvermeidendem Verhalten Unterstützung suchen, deutlich jünger sind als noch vor einigen Jahren. In vielen Fällen wird von Eltern oder Schule aber noch immer zu lange abgewartet, bevor Unterstützung gesucht wird. Fehlzeiten werden nicht immer gut analysiert und Schulvermeidung bleibt lange unerkannt. Nach den coronabedingten Schulschließungen stand oft das Aufholen von Schulstoff im Vordergrund und das „Nachlernen“ von sozialen Situationen. Die Gestaltung einer guten Schüler-Lehrer-Beziehung und das Pflegen von Schul- und Klassenklima hatte in der Pandemie weniger Raum und Zeit. Kleinere Klassen, kleinere Schulen und ein gutes Schulklima sind Faktoren, die dazu führen, dass Kinder und Jugendliche seltener Angst vor der Schule entwickeln.
Was sind die wichtigsten – schulischen und außerschulischen – Anlaufstellen, an die sich Eltern bei Problemen ihres Kindes in der Schule wenden können?
In der Schule sicher die Klassenlehrkraft, die Schulleitung, Schulsozialarbeiter:innen und Beratungslehrkräfte. Außerschulisch die Beratungsstellen der Schulpsycholog:innen. Hier gibt es je nach Bundesland unterschiedliche Strukturen. Außerdem Erziehungsberatungsstellen. Diese sind oft über die Jugendämter zu finden. Und schließlich niedergelassene Kinder- und Jugendpsychotherapeut:innen oder die Ambulanzen der Kinder- und Jugendpsychiatrien.
Auf einen Blick: 10 Tipps gegen Schulangst
- Sprecht mit eurem Kind und versucht die Ursachen seines Verhaltens zu verstehen.
- Bleibt ruhig und verurteilt euer Kind nicht. Manchmal hilft ein Perspektivwechsel: Wie hättet ihr das selbst als Kind empfunden?
- Schaut auf das Verhalten eures Kindes, nicht auf sein Wesen. Hat es zum Beispiel eine schlechte Note geschrieben, ist es nicht faul oder dumm, sondern hat sich vermutlich unzureichend vorbereitet. Das lässt sich ändern!
- Zeigt eurem Kind, dass ihr darauf vertraut, dass er die Situation meistern wird. Helft ihm, selbst Lösungen zu finden, damit stärkt ihr sein Selbstvertrauen.
- Sprecht bei länger andauernden Schwierigkeiten mit der Klassenlehrerin oder dem Klassenlehrer und anderen Vertrauenspersonen wie Beratungslehrkräften, Schulsozialarbeiter:innen, Schulpsycholog:innen oder auch der Schulleitung.
- Habt einen wachen Blick für echte Bedrohungen in der Schule wie Mobbing, Gewalt oder langandauernde Überforderung. Holt Lehrkräfte und die Schulleitung mit ins Boot und versucht nicht, die Probleme alleine zu lösen. Denkt gegebenenfalls über einen Schulwechsel nach.
- Nehmt auch weniger offensichtliche Zeichen für Schulangst ernst: Manchmal verbirgt sich hinter dauernden Kopf- oder Bauchschmerzen eures Kindes, sozialem Rückzug oder plötzlichem aggressivem Verhalten die Angst vor der Schule.
- Denkt daran, dass auch plötzliche Veränderungen außerhalb der Schule (z.B. eine Trennung der Eltern, ein Umzug, der erste Liebeskummer) euer Kind überfordern können. Sucht mit ihm gemeinsam Lösungen, wie es mit der Situation umgehen kann.
- Überprüft eure eigene Haltung zu Schule und Unterricht. Manchmal übertragen wir eigene Ängste und Vorbehalte auf unsere Kinder, ohne es zu merken.
- Bleibt zuversichtlich. Sucht nach Lösungen und schaut auf die Fähigkeiten und Stärken eures Kindes. Gemeinsam schafft ihr das!
Wichtige Informationen und Anlaufstellen:
- Beratungsstellen Schulpsychologie
- Kinder- und Jugendpsychotherapeut/innen
- Beratungsstellensuche der Bundeskonferenz für Erziehunsgberatung (bke)
- Infoportal (Neurologen und Psychiater im Netz): Ursachen, Anzeichen und Behandlungsmöglichkeiten von Schulangst
Noch mehr Elterntipps erhaltet ihr in unserer Rubrik “Elternsein & Erziehung“. Zum Beispiel:
Alleinerziehend, aber nicht allein: Starke Netzwerke für Ein-Eltern-Familien
Elternrat: Wie stärken wir das Selbstbewusstsein unserer Kinder?
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Vielen Dank für den wertvollen Beitrag. Wir arbeiten mit Familien, deren Kinder Lernschwierigkeiten haben. Sie erleben im Unterricht immer wieder, dass sie scheitern und nicht hinterherkommen. Bei einigen Kindern hinterlässt das tiefe Spuren: Sie entwickeln Blockaden und Ängste. In diesen Situationen ist ein bewertungsfreier, liebevoller Umgang mit dem Kind wichtig. Auch hilft der Austausch mit der Lehrperson. So lassen sich oft Lösungen finden, die das Kind entlasten und den Druck senken.