„Ist das normal?“ Zwei Doulas im Gespräch über ihre Arbeit und die Muttertät

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In meiner Mütter-Bubble in den sozialen Netzwerken begegnet mir neuerdings immer häufiger der Beruf der Doula. Ein neuer Trend, so schien mir, doch der Beruf hat Tradition. Da es kaum Hebammen gab, wurde das Konzept der Doula in den siebziger Jahren zunächst in den USA wiederbelebt. Inzwischen wächst die Nachfrage nach einer „bezahlten Freundin“ auch bei uns. Natalia und Sarah, Mütter, Schwestern und Doulas aus München, begleiten (werdende) Mütter vor, während und nach der Geburt und machen sich im Netz dafür stark, die Muttertät bekannter zu machen. Was es mit dem Begriff auf sich hat, was eine Doula von einer Hebamme unterscheidet und warum gleichberechtigte Elternschaft spätestens im Wochenbett beginnt, lest ihr hier.

Erzählt doch mal, wer ihr seid und wie ihr zu eurer Arbeit als Doulas gekommen seid!

Wir sind Sarah, 32, und Natalia, 37, Schwestern und Kolleginnen. Wir unterstützen Schwangere und Paare emotional während der Schwangerschaft, Geburt und der ersten Zeit danach. Wie bei vielen Doulas hat die eigene (eher suboptimale) Erfahrung in uns den Wunsch geweckt, Frauen/Paare in dieser einzigartigen Zeit möglichst gut zu begleiten.

Wir haben erlebt, dass wichtige Informationen nicht immer einfach zugänglich sind und dass es nach wie vor viele Tabus sowie Mythen rund um das Elternwerden gibt. Und weil diese Zeit so prägend ist, wollten wir sie mit unserer Arbeit positiv beeinflussen.

Welche Tabus und Mythen fallen euch da als erstes ein?

Es gibt zum Beispiel nur sehr wenig Informationen zum Wochenbett und wenn, dann geht es hauptsächlich um die körperliche Rückbildung. Die psychischen Aspekte, die die Geburt und besonders die ersten Wochen mit sich bringen, bleiben oft unerwähnt. Viele Frauen erwarten, dass mit dem Baby auch eine Art Mutterinstinkt geboren wird, der ihnen automatisch vermittelt, was ihr Kind genau braucht und dass sie sofort die stärkste Liebe fühlen. Dabei benötigt Liebe oft Zeit und wird nach und nach immer stärker. Gleichzeitig dürfen wir den neuen Mensch erstmal kennenlernen, damit wir gut abschätzen können, was er braucht. Babys verändern sich auch so wahnsinnig schnell und wir dürfen gemeinsam wachsen. Die unrealistischen Erwartungen erzeugen häufig einen immensen Druck und Schuldgefühle.

Wo müsste man eurer Meinung nach ansetzen, damit Informationen und Unterstützung besser dort ankommen, wo sie gebraucht werden, wenn man sich keine Doula leisten kann? Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine Doula ja nicht.

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Am besten da, wo Schwangere und – noch besser – gleich auch die Partner*innen anzutreffen sind, also in Vorbereitungskursen oder Vorsorgeterminen. Außerdem träumen wir von einem psychologischen Nachsorgetermin zusätzlich zum gynäkologischen Check-up, der sechs Wochen nach der Geburt stattfindet.

Der Fokus einer Hebamme liegt in der Vorsorge, Geburtshilfe und Wochenbettbetreuung eher auf dem körperlichen Wohlergehen von Mutter und Kind. Eine Doula kümmert sich um das emotionale Wohlbefinden der Mutter. Kann man das so sagen oder worin genau liegt der Unterschied?

Der größte Unterschied liegt sicherlich in der Ausbildung. Doulas haben keine medizinische Ausbildung und tragen auch keine medizinische Verantwortung, deshalb führen wir keine Untersuchungen durch oder erstellen Diagnosen. Unsere Arbeit beschränkt sich rein auf die emotionale Unterstützung der Schwangeren und des/r Partners/in. Wir ergänzen die Hebammenarbeit um zwei helfende Hände und ein Herz, das für dieses besondere Thema schlägt. Es gibt verschiedene Spezialisierungen bei Doulas, manche begleiten – so wie wir – Geburten, andere fokussieren sich ausschließlich auf Unterstützung im Wochenbett. Auch Hebammen kümmern sich um das psychische Wohlbefinden der Schwangeren, deshalb sind wir zusammen Teil dieses berühmten „Dorfes“, das es sprichwörtlich braucht, um ein Kind großzuziehen.

Gibt es dennoch bestimmte Voraussetzungen, um den Beruf der Doula ausüben zu dürfen und worauf sollte ich bei der Suche nach einer Doula achten, außer natürlich, dass es zwischenmenschlich passt und ich mich wohl fühle?

Der Beruf ist nicht geschützt und somit gibt es auch keine Voraussetzungen. Wir würden empfehlen, mehrere Doulas kennenzulernen, um die unterschiedlichen Angebote besser vergleichen zu können oder um herauszufinden, wie viel Erfahrung die Doula hat bzw. wie sie über Geburt und Wochenbett denkt.

Ich habe den Eindruck, dass der Beruf der Doula zwar immer mehr Leuten ein Begriff ist, aber dass er in der breiten Masse noch nicht angekommen ist. Teilt ihr dieses Empfinden?

Ja, die Bekanntheit steigt langsam und gleichzeitig ist es vor allem für Erstgebärende noch sehr abstrakt, sich die Unterstützung wirklich vorstellen zu können. Das kollektive Bild, das viele durch Medien von Geburt haben, entspricht einer Krankenhausgeburt, die fast ausschließlich durch Ärzte/Ärztinnen begleitet wird. Dabei sind Gynäkolog*innen im Normalfall nur die letzten Minuten anwesend und das auch eher als passive Zuschauer im Hintergrund. Für die Stunden zuvor hat man aktuell die Unterstützung der diensthabenden Hebamme, die sich oft gleichzeitig noch um 2-3 weitere Paare kümmern muss. Die Unterstützung durch geburtserfahrene Freundinnen oder Verwandte während der Geburt ist eigentlich schon viele Jahrzehnte alt, Doulas sind somit keine neue Erfindung, sondern nur durch die Klinikgeburt in Vergessenheit geraten.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie schwer es war, eine freie Hebamme zu finden. Wahrscheinlich ist man gut beraten, sich auch bei der Suche nach einer Doula nicht allzu viel Zeit zu lassen?

So schlimm wie bei den Hebammen ist es noch nicht. Allerdings macht es auch bei Doulas Sinn, sich möglichst früh zu melden, weil der Betreuungszeitraum dann länger ist.

Ab wann kommen die Frauen i.d.R. auf euch zu und sind es eher Erstgebärende oder Mütter, die schon eine oder mehrere Geburten erlebt haben?

Wir werden meistens noch im ersten Trimester kontaktiert und aktuell sind es eher Erstgebärende.

Gibt es Wünsche, die für die Geburt besonders häufig geäußert werden?

Die Erstgebärenden sind oft verunsichert und wollen eine geburtserfahrene und vertraute Person an ihrer Seite, an die sie sich immer wenden können. Bei den Mehrgebärenden geht es eher darum, die negative erste Erfahrung durch ein schönes Erlebnis zu heilen. Sie wissen jetzt besser, was sie sich für ihre Geburt wünschen und was ihnen nicht gut getan hat.

Ihr habt euch dafür entschieden, Gebärende in Vorbereitung auf die Geburt zu begleiten. Werdende Mütter haben bei euch die Wahl zwischen einem Komplettpaket und einem Paket ohne Rufbereitschaft und Geburtsbegleitung. Welches Paket wird häufiger gebucht? Ich nehme an, dass besonders der unbegrenzte telefonische Support gern in Anspruch genommen wird?

Am häufigsten wird die Geburtsbegleitung gewählt. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass es in München und Umgebung keine Beleghebammen in den Kliniken gibt, wobei wir auch immer wieder für außerklinische Geburten als Ergänzung zur Hebamme gebucht werden.

Sehen euch die Hebammen, mit denen ihr zusammenarbeitet, eher als Teil des Teams und als hilfreiche Ergänzung oder kommt es auch vor, dass ihr eher als Konkurrenz wahrgenommen werdet?

Wir haben bisher nur positive Erfahrungen gesammelt. Sowohl die Hebammen in den Krankenhäusern, als auch die Hausgeburt- oder Geburtshaushebammen haben unsere Unterstützung sehr geschätzt.

Ich persönlich bin, ehrlich gesagt, ein bisschen zwiegespalten. Ich bin total dafür, sich ein Dorf zu schaffen und dazu auch die Hilfe einer Doula in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig sehe ich es kritisch, wenn Leistungen, für die einer Hebamme im Klinikalltag die Zeit fehlt, privat aufgefangen werden sollen. Ich finde, dass Politik und Krankenkassen hier aus der Verantwortung genommen werden. Wie sieht ihr das?

Das ist eine wichtige Frage! Wir können die Arbeit einer Hebamme fachlich nicht ersetzen, deshalb wird unsere Leistung den Hebammenmangel auch nicht abmildern. Doulas treten an die Stelle, die zuvor von Großfamilien oder Dorfgemeinschaften abgedeckt wurde. Als Schwangere und Paare bei der Geburt und in der Zeit danach von ihrer nahen Umgebung noch viel Unterstützung bekamen.

Während meiner Schwangerschaft habe ich gelesen, dass in dieser Zeit nicht nur meine Hormone und meine Gefühle Achterbahn fahren und dass sich Bauch, Brüste und sogar meine Füße verändern. Selbst mein Hirnvolumen hat abgenommen. Ist es das, was ihr mit dem Begriff Muttertät umschreibt, eine Phase vergleichbar mit der Pubertät?

Einerseits ja und andererseits ist da noch mehr. Wenn wir Mutter werden, ändern sich unser Körper, unser Gehirn und unsere Hormonkonzentration. Gleichzeitig erleben wir oft auch Veränderungen bei zwischenmenschlichen Beziehungen, unserer Weltanschauung und sogar unserer Persönlichkeit. Es ist eine richtige Entwicklungsphase wie zuletzt die Pubertät. Nur mit dem Unterschied, dass die Pubertät allgemein bekannt ist und die Gesellschaft mittlerweile Verständnis und Geduld für diese Zeit der Orientierungslosigkeit und intensiver Gefühle aufbringt, wohingegen bei Neu-Müttern die Erwartungshaltung eine ganz andere ist. Hier soll die neue Rolle möglichst schnell eingenommen werden, ohne dass sich für die Umgebung irgendetwas ändert. Mütter sollen nicht so aussehen und nicht so arbeiten, als ob sie Kinder hätten und sich um die Kinder kümmern, als gäbe es nichts anderes für sie im Leben.

Erleben Mehrgebärende diese Phase mit jeder weiteren Schwangerschaft?

Es gibt aktuell noch keine neurowissenschaftlichen Ergebnisse dazu, aber es müsste jeden Moment soweit sein. Aus Erfahrung können wir jedoch sagen, dass jede weitere Schwangerschaft (körperliche und psychische) Veränderungen mit sich bringt, allerdings fallen diese weniger stark aus. Beim ersten Kind werden wir Mutter, beim zweiten sind wir es bereits. Trotzdem ist es jedes Mal eine (andere) Herausforderung, für die wir Zeit brauchen, um hineinzuwachsen.

Könnt ihr euch erklären, warum die Wissenschaft auf diesem Gebiet nicht schon weiter ist? Das ist doch ein wahnsinnig spannendes Forschungsfeld. Vom “Baby Blues” durch den Hormonabfall nach der Geburt habe ich eigentlich eher per Zufall erfahren, als mich eine Bekannte damals fragte, ob ich denn schon “das große Heulen” gehabt hätte. Von Wochenbettdepressionen habe ich später gelesen. Darüber aufgeklärt hat mich niemand.

Das liegt, wie bei den meisten Frauenthemen (siehe Endometriose, weiblicher Herzinfarkt etc.), daran, dass sich die Forschung vor allem mit Männern beschäftigt hat. Mütter wurden – wenn überhaupt – nur im Zusammenhang mit ihrer Auswirkung auf die Entwicklung von Babys oder Kleinkindern in Studien mit einbezogen. Erst seit ca. 10 Jahren widmen sich (in der Regel weibliche) Forscher*innen den Fragen, was Mutterwerden mit den Frauen selbst macht. Dabei geht es in erster Linie darum, psychische Krankheiten wie postpartale Depression oder postpartale Angststörung besser zu verstehen und vorzubeugen. Schließlich ist die Muttertät, so wie auch die Pubertät eine vulnerable Phase, in der die Anfälligkeit für psychische Krankheiten erhöht ist. Deshalb liegt es uns auch so am Herzen, das Wissen um die Muttertät möglichst weit zu verbreiten, damit in der Gesellschaft mehr Empathie und Sensibilität für diese besondere Zeit vorherrscht.

Es braucht also einen Begriff, um diese Entwicklungsphase überhaupt erstmal benennen und abgrenzen zu können?

Die Muttertät ist eine Zeit des Übergangs und Lernens, es ist also wichtig, geduldig mit sich zu sein und sich nicht zu scheuen, um Hilfe zu bitten oder sich wenigstens mit Gleichgesinnten auszutauschen. Wir erleben sehr oft, dass Frauen eine Last von den Schultern fällt, wenn sie verstehen, dass sie mit ihrem Struggle nicht allein sind und es nicht an ihrer Eignung als Mutter liegt, wenn sie fühlen, was sie fühlen. Die häufigste Frage nach der Geburt, die uns gestellt wird, lautet: “ Ist das normal?“
 Besonders auf Social Media neigen wir dazu, nur die Highlights unserer Erfahrungen zu teilen. So entsteht der Eindruck, dass Muttersein nur aus Kinderlachen, Muffins und Blumenwiesen besteht. Wenn das bei einem selbst nicht immer der Fall ist, zweifelt man an sich und schweigt vor Scham. Doch dieses Schweigen kostet uns wertvolle Verbundenheit. Auch deshalb ist Muttertät als Begriff so wichtig, denn Sprache schafft Realität. Sobald wir etwas benennen können, existiert es nicht nur für uns und der Austausch mit anderen wird dadurch überhaupt erst möglich.

Mit einem weiteren Familienmitglied ändert sich das komplette Familiengefüge. Rollen müssen sich neu finden, auch innerhalb der Partnerschaft. Wie schafft ihr es, auch die Väter mit ins Boot zu holen?

Die meisten (werdenden) Väter, die wir begleiten, sind per se schon überdurchschnittlich engagiert. Sie nehmen an fast allen Terminen teil und werden deshalb auch mit ihren Gefühlen, Fragen und eventuellen Sorgen komplett eingebunden in die Vorbereitung. Uns liegt viel daran, dass Schwangerschaft und spätestens das Wochenbett als weichenstellend für eine gleichberechtigte Elternschaft verstanden wird. Die Idee, der Partner kann am Anfang sowieso nichts tun, halten wir für absolut falsch und plädieren stattdessen dafür, dass er von Beginn an (mit) lernt, Erfahrungen sammelt und eine Bindung zum Baby aufbaut. So wird verhindert, dass die Kompetenz-Schere zu weit auseinander klafft und der Vater nur eine zweitklassige Hilfskraft wird, während die Mutter die Expertin ist.

Vielen Dank für das spannende Gespräch!

Ab dem Jahr 2025 sollen Hebammen und Entbindungspfleger nicht mehr im Pflegebudget berücksichtigt werden. Das würde bedeuten, dass das bereits überlastete, durch die Pandemie gebeutelte Pflegepersonal die Mammutaufgabe der Betreuung der Wochenbettstationen ohne jegliche Zusatzqualifikation übernehmen müsste. Doch für eine komplikationslose Geburt und Nachsorge ist die Betreuung durch eine Hebamme unerlässlich!!! Damit sich die Arbeitsbedingungen für Hebammen endlich verbessern und sie als notwendiges medizinisches Pflegepersonal im Pflegebudget eingeschlossen werden, ist es wichtig, dass ihr die Petition „Keine Streichung der Hebammen aus dem Pflegebudget ab 2025!“ unterschreibt!

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