Ich teile Karten aus. Mein Sohn kann jetzt Mau Mau spielen und freut sich diebisch, dass er auf die erste Karte mit einer 7 antworten kann. Ich sehe in mein Blatt und stelle mit Schrecken fest, dass ich die restlichen drei 7 und zwei Asse auf der Hand habe. Das ist richtig übel, denn der Junge hat bereits zwei Niederlagen einstecken müssen und ich bin sicher, er wird sein Eskalations-Theater auch ein drittes Mal aufführen, sollte er erneut verlieren. Ich rechne mit epischen Ausmaßen und fürchte, er inszeniert seinen Weltuntergangs-Haka dann zusätzlich mit einem Konfettiregen aus zerrissenen Spielkarten oder so.
Mir wird angst und bange. Ich überlege, ob ich, statt auszuspielen, einfach eine Strafkarte ziehen soll, um das Unglück abzuwenden. Aber was hätte ich ihm damit beigebracht, mahnt mein innerer Erziehungsauftrag. Dass das Pech ihm im Leben immer nur wohldosiert auf den Wecker geht? Ich bin kein Freund von Vermeidung aus Bequemlichkeit und lege möglichst emotionslos meine 5 Karten ab. Als ich vorsichtig „Mau Mau“ sage, fliegt auch schon sein Blatt durch die Gegend und er kreiselt wutentbrannt durch die Wohnung. Mir bleibt nur abzuwarten und das Lachen zu unterdrücken, bis ich trösten kann.
Scheitern als Chance
Die Fähigkeit, mit Frustration umzugehen, hängt mit der Gehirnentwicklung zusammen. Der Teil für Impulskontrolle und Umgang mit Verlusten ist bei Vorschulkindern noch nicht fertig ausgebildet. Ich erkenne mich in dem Verhalten meines Sohnes absolut wieder, denn als ich 5 Jahre alt war, habe ich nicht nur einmal das Mensch Ärgere Dich nicht-Spiel vom Tisch gefegt, um anschließend auf alle Figuren zu treten, die meine Eltern nicht schnell genug vor mir in Sicherheit bringen konnten. Hinsichtlich seiner Frustrationstoleranz ist er womöglich erblich vorbelastet, aber es gibt auch gute Nachrichten: Man kann üben, ein besserer Verlierer zu sein. Eltern dürfen das, wie immer, vorleben und mit der Haltung „Dabeisein ist alles“ vermitteln, dass Verlieren keine persönliche Kränkung darstellt.
Meinem Sohn erkläre ich deswegen, dass der Spaß beim Kartenspielen im Vordergrund steht und nicht das Ergebnis und dann lobe ich, wie gut er schon die Buben taktisch einzusetzen weiß. Ich will auf gar keinen Fall, dass der Selbstwert meines Sohnes vom Erfolg abhängt und er vor lauter Angst, Fehler zu machen, sich nichts mehr zutraut. Alle lieben Erfolg, aber nie lernen Menschen mehr, als wenn sie scheitern. Ich betone also die Verbesserung im Spiel meines Sohnes, was ihm so gut gefällt, dass ich gleich die nächste Runde Karten austeilen muss. Freude am Fortschritt fördert den gesunden Wettbewerb, weil die Kinder sich nicht mit anderen, sondern mit sich selbst vergleichen. Wer den Weg als Teil des Zieles betrachtet, verkraftet außerdem besser, wenn der nächste Schritt nicht sofort gelingt.
Amen!
Weil auch jeder mal Erfolg braucht und er sein Blatt so zuverlässig verbirgt, wie ich AGBs lese, helfe ich dem Glück in der vierten Runde etwas auf die Sprünge, sodass der Junge endlich als Erster seine Karten loswird. Mau Mau, Hallelujah, Gott sei Dank!
Er glaubt noch fest daran, dass magisches Denken das Ergebnis beim Spielen beeinflusst. Der Zufall beim Würfeln oder Kartenziehen ist für ihn noch nicht zu verstehen. Ebenso unzumutbar ist die Tatsache, dass einem auch das Leben übel mitspielen kann und niemand sicher ist vor Schicksalsschlägen.
Wie sehr ich selbst diese Dinge verdränge, wurde mir klar, als ich meinem Sohn den Film „Der König der Löwen“ zeigte. Nach zehn Minuten fiel mir siedend heiß ein, dass Simbas Vater gleich das Zeitliche segnen wird und ich suchte innerlich schon mal nach einer Möglichkeit, sein Ableben mystisch zu verklären, um das Entsetzen meines Sohnes nicht aushalten zu müssen. Es kam, wie es kommen musste, doch ich entschied mich letztlich dafür, der Wahrheit den Vorzug zu geben und erklärte ehrlich, was „Tod“ bedeutet. Er versteht in seinem Alter, dass Sterben etwas mit Verlust zu tun hat, kann aber noch nicht vollumfänglich begreifen, dass es wirklich unumkehrbar ist und ausnahmslos für alle gilt. Er ahnt lediglich, welche Konsequenzen unsere Vergänglichkeit hat, und sucht nach einer Bewältigungsstrategie für das bedrohliche Gefühl der Machtlosigkeit.
„Und was passiert dann?“, wollte er entsprechend von mir wissen. Ich bot die gängigen Theorien zum Verbleib der Seele an: das Nichts und die religiöse/spirituelle Vorstellung vom Leben nach dem Tod. – Nun hat mein Sohn zum Glauben gefunden. Das freut mich, denn die Realisten haben es dieser Tage wesentlich schwerer mit dem Trost. Ich hoffe jedoch, sein Vertrauen in Gott hält auch in schweren Stunden, denn er betet jetzt für ein echtes Rennauto zum Geburtstag.
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