Es waren diese Filme: Hochschwangere Frau in einer unverfänglichen Alltagsszenerie, da plötzlich platzt sie, die Fruchtblase. Dann hektisches Umhergerenne, cut, nächste Szene im Auto: Die Frau im Spreizsitz auf dem Beifahrersitz, krallt sich in eben jenen vor Schmerzen, „Schatz, beeil dich“, cut, Kreißsaal. Eine Delegation von Weißmänteln, zwischen der gleich frischgebackenen Mutter, und der, aus sechs grell strahlenden Leuchten zusammengesetzten Lampe. Sie schreit, der Mann: verzerrte Visage, glotzt blass in Richtung dieses einen, ihn für immer verändernden Augenblicks, wohl ahnend, dass sich da was ändern wird. Eine Hebamme fordert: pressen, pressen, pressen und flutsch, da ist es, trocken und rosig, gekämmt und gewaschen – ein Neugeborenes – im Hintergrund, aber ganz und gar nicht hintergründig gemeint, natürlich, dramaturgisch durchdacht und genau zum richtigen Zeitpunkt eingefaded: herzerwärmende Streichermusik, in Dur, 432 hz. Cut. Die weiße Decke umschmeichelt die glänzende Haut der frischgeduschten Mutter, das Kind trinkt, so soll es ja auch sein, an der Brust, Blumensträuße, Geschenke, Glückseligkeit. Bestimmt gehen alle bald zusammen ins Restaurant. Oder fliegen in den Urlaub. Klar, mit Kind, ein Klacks.
Das, in etwa, war meine Vorstellung davon, wie es sein wird, ein Kind zu bekommen. Im Nachhinein betrachtet schwer naiv. Ich wollte eben eines. Gesagt, getan.
Dass man von Sex schwanger wird, das wusste ich aus der Bravo, dass es sofort klappt, das hatte ich in Kauf genommen. Ich war ja 28, bestes Alter. Hunde deckt man mit 3 Jahren, das entspricht, ich habs gegoogelt, einem Menschen mit 29. Voll im Saft, beste Kraft. Egal ob Hund oder Stute, Decken, Besamen, wie auch immer, ich war einverstanden. Einverstanden mit: Ein Kind schläft nicht so gut, weint ab und zu und kackt. Ich weiß nicht, wie rational eine, von der Arterhaltung gesteuerte, Hormon getriggerte Endzwanzigjährige tatsächlich eine solche Entscheidung trifft. Die Natur will es doch, sie kocht ihr Neurotransmittersüppchen, vorgegaukelte Freiheit, alles kann, nichts muss, aber in Wahrheit, da muss es dann doch und dann tut man es. Obwohl ich nie ein Faible für Babys hatte und die Kinder der anderen immer komisch rochen.
Ich gebar eine Tochter. Wild und laut. Diese so genannte „Geburt“ – das war mir plötzlich klar – konnte nur der Prolog eines, die Welt erschütternden, 5-aktigen Dramas sein, twists and turns, a little heartbreak, wie eine Sinuskurve, immer wieder vom Peak ins tiefe Loch, zum Peak, zum Loch. Im Kreißsaal wünschte ich mich fort, weit weg in den Dschungel, wo ich mich nach der erfolgreichen Entledigung meines Kindes damit ins Blätterdickicht zurückgezogen hätte, um dann, rituell von Liane zu Liane schwingend, den Dschungelbewohnern durch einen kraftvollen, nur frisch geborenen Müttern vorenthaltenen, tarzanartigen Schrei, die Ankunft der neuen Erdenbürgerin mitzuteilen. Sogleich hätte ich mich herabgelassen, in ein hergerichtetes Nest aus Moos und Palmenblättern, das Universum und ich, eins, nach diesem Urakt des Lebenschenkens – und Balu und Baghira täschelten mir fortan respektzollend mit ihren Tatzen auf die Schulter. Ja. Und Kaa brächte mir Tinkturen und Tee.
Im Krankenhaus dagegen, kein Dschungel, aber doch irgendwie Wildnis – so ergriff ich nach vollendeter Niederkunft die Flucht nach Hause, sofort. Suchte dort halt, suchte mich. Schließlich hatte ich diesen Ort doch als Ich noch verlassen. Stattdessen verlor ich mich genau an dem Ort, der eigentlich mein Zuhause war.
Auf der Suche nach dieser allseits vorhergesagten Liebe verlief ich mich in den Anforderungen, die mein Kind an mich stellte. Es klappte nichts, es fühlte sich nicht so an wie gedacht. Wo ist sie denn diese Liebe, von der alle sprechen? Diese Liebe, die so „unbeschreiblich“ ist? Erfüllung! Pathos! Mütterlichkeit!
Keine Ausflüge, stattdessen innerer Sinkflug. Mein Kind, es schrie, ich schrie innerlich. Wo war noch gleich das Karussell? Ich würde mein Baby gerne mal da rein setzen. Wie, das ist erst ab drei? Bällebad bei Ikea, ab sechs. Bällebad der Gefühle. Irgendwie abgeben, nur mal ganz kurz. Das Bedürfnis für mich zu sein – da guckten dann immer alle ganz beschämt und lächelten dann – das wird sie schon nicht so gemeint haben. Doch, hat sie. Anstrengend sei es, aber man habe die Kleinen ja so lieb, und das sei das größte Glück, rückte man die Welt wieder in Ordnung. Denn Glücklichsein, so ist das anscheinend, gibt’s als Fruchtquetsche im Kreißsaal zum Abschied. Mit besten Wünschen. Aha. Man bekommt ja so viel zurück.
Zu Beginn wurde es also auf den Babyblues geschoben, dann war es eben ein langer Babyblues und dann googelte ich irgendwann: „Postnatale Depression“. Die Definitionen klangen mir dann doch zu krass, Dr. Google Eigendiagnose können wir alle. Nicht depressiv sein zu wollen, wenn man es ist, ist wohl eines der aussichtslosesten Vorhaben auf diesem Planeten. Also versuchte ich es krampfhaft: Schleppte mich auf Ausflüge in den Park, zu Freunden, in den Supermarkt, schwitzte und stank vor Stress, weinte, war von der Langeweile überfordert und der Überforderung gelangweilt. Feuchttücher, Schnuller und voll geschissene Bodys quollen aus meiner Tasche. Besser fühlte ich mich irgendwann nur in den eigenen vier Wänden, zu groß die Scham, in der Öffentlichkeit einen überforderten Eindruck zu hinterlassen. Also blieb ich allein. Drehte auf einem nahegelegenen Sportplatz im Winter Runde um Runde, schritt zehnmal, zwanzigmal meine eigenen Spuren im Schnee ab. Immer im Kreis, Hauptsache sie schläft und ich kann später mal duschen. Weinend vor Müdigkeit schob ich und schob. Im Film sah das alles so einfach aus. Bei anderen sah das alles so einfach aus. Aber das war es für mich nicht und ich mir deshalb sicher, als Mutter gescheitert zu sein, von Anfang an. Es tat mir so unendlich leid für mein Kind. Ich wollte ja lieben, aber ich konnte nicht.
And round and round and round it goes and when it stops, nobody knows.
Das ist zehn Jahre her. Fast zehn Jahre bin ich für jemanden auf dieser Welt eine Mutter. Die Rolle des Idols, der Hirtin, des Ideals. Für sie: vollkommen, perfekt, Utopie. Wir alle kennen die Last dieser Liebe, das Mühsal des Inbegriffs. Überladen und gleichzeitig so wahrhaftig.
Bei aller Liebe – die ich mit der Zeit dann endlich fand – am Bild der Mutterschaft musste sich etwas ändern, fand ich. Bei aller Liebe – die wirklich sehr groß sein kann – aus dem schlechten Film musste einfach ein guter werden.
Ihr habt Tante Kantes erste Kolumne verpasst? Hier könnt ihr sie nachlesen:
Kleiner Fuckt am Rande: Wir beginnen am Ende
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