Sagt euren Kindern, … dass ihr nicht alles für sie tun würdet!

gute Mütter Kolumne

Alles oder nichts – klingt wie eine kitschige Vorabendserie, ist aber ein gängiges Denkmodel. Nicht nur für Wettprofis und Extremsportler, sondern auch für Mütter oder Teenager. Jungen Menschen fehlt noch die Erfahrung. Im Straßenverkehr, im Job und im Leben sowieso. Dann kriegt man Kinder und plötzlich ist Erfahrung alles, was einem noch geblieben ist. Es fehlt nun Freizeit, Ruhe und Geduld. Man lernt, damit zu leben und man lernt, so zu tun, als wäre es überhaupt kein Problem, die heilige Dreifaltigkeit Job, Kinder, Leben über den Tag zu jonglieren. Während das Kinderkriegen zur neuen Religion erklärt wird, holt das Alles-oder-Nichts-Prinzip schnell das Popcorn und sieht uns von nun an mampfend dabei zu, wie wir an unseren zu hohen Eltern-Ansprüchen scheitern. Applaus, wenn man wieder in die Jeans aus kinderlosen Tagen passt. Anerkennung, wenn man einen tollen Job macht. Super, wenn die Beziehung noch mit Zweisamkeit und Gleichberechtigung gesegnet ist. Soweit die vorherrschenden Idealvorstellungen. Das Hungern für die Figur soll aber bitte keine schlechte Laune oder Ohnmachtsanfälle auslösen, der Job darf jetzt nicht gleich drei Monate ins Ausland führen und in der Beziehung muss man verdammt nochmal mit Netflix zufrieden sein. Du hast es ja schließlich so gewollt und wusstest, worauf Du Dich einlässt. Was willst Du noch? – Alles!? Nein, ich will nur nicht dauernd so tun müssen, als wäre mit der Geburt des ersten Kindes, die Person, die ich mal, war für immer weg. Sie raucht vielleicht nicht mehr und hat jetzt ´ne Kreditkarte, aber das soll´s bitte noch nicht gewesen sein. 

Wer ALLES sagt, hat schon verloren

Leider gelten eigene Wünsche und Träume als egoistisch, sobald neues Leben deine Lenden verlassen hat. Ein egoistischer Mensch ist ein Unsympath. Eine egoistische Mutter ist ganz kurz vor „Kindeswohlgefährdung“ und man muss fürchten, dass das Jugendamt gleich vor der Tür steht. Da hilft dann nur noch der magische Satz, mit dem man gegen jeden Zweifel erhaben ist. Nein! Es ist nicht: „Ich liebe meine Kinder!“, das reicht nicht. Schnell! Das Jugendamt sucht schon einen Parkplatz vor deiner Tür. Nur der Satz: „Ich würde ALLES für meine Kinder tun!“ zwingt sie zurück ins Amt. Dieser Satz ist die offizielle Erklärung des totalen Verzichts auf alle Ansprüche, die nicht zuerst den Kindern zugutekommen. Das fängt bei Kleinigkeiten an. Wer diesen Satz mit allen Konsequenzen vor sich her trägt, der kann sich das Radio und die „Gute Laune-Playlist“ im Auto abschminken. Gehört wird jetzt „Schnappi, das kleine Krokodil“ in Endlosschleife – bis nach Italien. Ich wette allerdings, spätestens auf der Autobahn trifft einen doch ganz heimlich die Einsicht, dass man hier und da vielleicht nicht alles für seine Kinder tun muss. 

Gelegentlicher Egoismus kann Leben retten

Was man bereit ist, in die Waagschale zu werfen, um eine gute Mutter zu sein, wird mit diesem Satz als Richtlinie gar nicht mehr verhandelt. Gut reicht nicht. Du wirfst entweder alles oder Du bist nichts! Warum ist mein eigenes Leben eigentlich unwichtiger als das meiner Kinder? Der Satz „Ich würde alles für meine Kinder tun.“, bedeutet nichts anderes, als dass man sich selbst in allen Belangen hinten anstellt und sich damit auch noch brüstet. Warum sagen wir nie, dass wir alles für uns selbst tun würden? Endlich in die Klinik gehen z.B., weil es mit den Depressionen einfach nicht mehr geht. Den Job kündigen mit dem unfähigen Chef und dem intriganten Kollegen, wegen dem man schon seit 6 Monaten nicht mehr richtig schlafen kann. Der Mutter des Kindergartenkumpels endlich sagen, dass sie mit der Lästerei über die Großfamilie aufhören soll. Um gute Mütter zu sein, müssen wir vor allem erstmal gut zu uns selbst sein.

Ich rede hier ganz sicher nicht davon, dem Dreijährigen den letzten Keks wegzuessen. Natürlich ist liebevolle Rücksicht und verantwortungsvolles Handeln oberstes Gebot. Es geht vielmehr darum, sich nicht alles zu verwehren, bloß weil man Kinder hat. Ja! Geh studieren mit 42, auch wenn die Weihnachtsgeschenke dann die nächsten 7 Jahre etwas kleiner ausfallen. Es ist doch so: Bei Druckabfall in der Flugzeugkabine sollen die Erwachsenen sich erst selbst die Atemmasken aufsetzen und dann den Kindern behilflich sein. Nicht anders rum. Es ist nämlich niemandem geholfen, wenn am Ende Mutter und Kind bewusstlos sind, weil der Dreijährige die Situation jetzt nicht ganz so dringend findet und erst noch zu Ende malen will, bevor er sich die Maske aufsetzen lässt.

Selfcare mit Schnaps

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Das allseits beschworene „Selfcaring“ hat viel weniger mit regelmäßiger Ganzkörper-Enthaarung oder Gesichtsmasken zu tun, als die Werbung uns weismachen will. Auf sich selbst zu achten, bedeutet vielmehr, sich nicht permanent zu überfordern, zu erkennen, was man braucht und will und vor allem seiner Persönlichkeit den Raum zu geben, den sie benötigt. Meine Persönlichkeit braucht z.B. hin und wieder mal ein paar Schnäpse und laute Musik, manchmal einen Eimer und Fencheltee am nächsten Tag. Ich bin jedoch bereit, den Preis dafür zu zahlen, um mal ganz kurz das Gefühl zu haben, für niemanden irgendwas tun zu müssen. Auch wenn ich weiß, dass die lästernde Kita-Mutti mich am nächsten Morgen abschätzig mustert. Sich lossagen von dem, was andere über uns denken könnten, gehört wohl zu den schwersten Dingen, die es im Leben zu lernen gilt. Zudem bremst uns immer wieder die Angst vor Konsequenzen wie Liebesentzug oder der Verlust von Ansehen und Gunst, wenn wir wirklich nach unseren Überzeugungen handeln würden. Für sich selbst einstehen? Sich nicht verbiegen? In der Theorie: Klar! Logisch! Und dann bleibt man doch wieder länger im Büro, weil´s so blöd aussieht, wenn man als Erste geht. Was geben wir da eigentlich für ein Bild ab? Die souveräne Sympathieträgerin wollen wir sein und aufgeklärt, aber dabei unbedingt unkritisch. Verständnisvoll, nur bloß nicht hinterfragend. Meinungsstark, vorausgesetzt es ist die richtige Meinung. Als sei es die Hauptaufgabe ein möglichst glatt(rasiert)es Leben zu führen.

Der „Alles-für-meine-Kinder“-Lifestyle begeistert vielleicht noch Philipp Amthor, cooler wird´s dann aber nicht mehr. In einer Zeit, in der Ehen noch ein alternativloses Versorgungskonzept für Frauen waren, hat sich dieser Satz wohl als Begründung etabliert. Als Grund dafür, in einer dysfunktionalen Beziehung zu bleiben, bis die Kinder ausgezogen sind. Als Erklärung dafür, den furchtbaren Job mit den ekelhaften Anzüglichkeiten des Chefs zu behalten. Die Selbstaufgabe als Heldenattribut ist heute symptomatisch für unsere immer noch reaktionäre Sicht auf´s Muttersein. Selbstverwirklichung hingegen bedroht das Wohlergehen der Kinder, zumindest wenn Mama den Job im Vorstand hat.

Die Bauchtanzgruppe als Seelentröster

Am schlimmsten ist jedoch, dass die „Alles-für-meine-Kinder-Sager“ genau das tun, was sie sagen. Sie tun wirklich alles für ihre Kinder. Thorben-Lukas geht zwar schon in die 11. Klasse, sein Zimmer muss der Junge trotzdem nicht alleine aufräumen. Die 17-jährige Hanna hat keine Ahnung, wie die Geschirrspülmaschine aufgeht und wenn der 1,90m große Oskar sich beim Sneaker kaufen die Nase putzen muss, kriegt er ein duftendes Menthol Taschentuch von Mami angereicht und drückt ihr die Rotzfahne anschließend wieder in die Hand. Am Ende begreift die liebende, aufopfernde Mutter viel zu spät, dass sie zum Mädchen für Alles geworden ist. 

Das Dasein als selbstloses Sympathie-Endlager wird nochmal richtig hart, wenn die Kinder ausgezogen sind und anfangen, ihr eigenes Leben zu führen. Plötzlich ist man zurückgelassen mit der drängenden Frage, wer bin ich überhaupt und was will ich eigentlich? Steile These, aber ich fürchte, das erklärt die zahlreichen Ü50-Teilnehmerinnen von Bauchtanzkursen und die vielen Mallorca-Geschäftsideen. Kinder sind wahnsinnig toll und sicher würde jede Mutter ohne zu zögern ihr Leben für die süßen Kleinen geben, ein Organ spenden oder ins brennende Haus rennen; sowas eben. Aber es gibt doch nichts Traurigeres als eine Mutter, die ihre Persönlichkeit im Kreißsaal abgegeben hat. Der irre Spagat zwischen unseren Wünschen und unseren Verantwortlichkeiten fordert uns oft ganz schön heraus. Manchmal zweifelt man an sich oder hat ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil man nicht an das Kita-Buffet gedacht hat. Ja, manchmal fehlt was und das ist dann Kacke. Ein Hoch auf die Tankstelle, an der man Sonntagabend noch Schulbrot kaufen kann. Und beim letzten Kita-Sommerfest hat jemand eine Packung Zimbo-Bouletten auf´s Buffet gelegt. Da wurde mir klar: Der Wunsch, für seine Kinder alles richtig zu machen, ist stärker als jeder Lifestyle-Druck. Aber wehe dem, der keine Wünsche mehr hat. 

Text: Andrea Glaß

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