Einige Frauen haben krampfartige Unterbauchschmerzen, die auch ein paar Tage vor der Menstruation auftreten können. Bei anderen Frauen kann es zu Schmerzen während oder nach dem Geschlechtsverkehr sowie beim Urinieren oder Stuhlgang kommen. Jede zehnte Frau zwischen der Pubertät und den Wechseljahren erkrankt an einer Endometriose. Und obwohl sie zu der zweithäufigsten gynäkologischen Erkrankung zählt, ist sie immer noch recht unbekannt.
Wir haben uns mit dem Chefarzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Alexianer St. Josef Potsdam, Dr. Siegfried Schlag, unterhalten. Er ist Spezialist für Endometriose und unerfüllten Kinderwunsch und erklärt, woran man die Erkrankung erkennt, welche Therapiemöglichkeiten es gibt und welchen Einfluss die Diagnose für den Kinderwunsch hat.
Lieber Herr Dr. Schlag, was genau ist Endometriose? Wie entsteht die Krankheit und was sind die Ursachen?
Dr. Siegfried Schlag: Endometriose kommt vom Wort Endometrium und das bedeutet Gebärmutterschleimhaut. Es handelt sich um eine nicht bakterielle Entzündung, bei der Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutterhöhle an ganz unterschiedlichen Stellen wächst. Endometrioseherde finden sich häufig am Bauchfell des Beckens, an den Eierstöcken, der Gebärmutterwand oder an anderen Beckenorganen wie Blase oder Darm.
Ein weiteres Merkmal ist, dass diese Krankheit wächst, dass heißt, sie kann auch in andere Organe hineinwachsen und sie ist hormonabhängig, im Verlauf jedes Monatszyklus baut sich auch die Schleimhaut der Endometrioseherde regelmäßig auf und wieder ab. Da Blut und Gewebereste aber nicht über die Scheide abfließen können, verbleiben sie in der Umgebung des Endometrioseherds. Dort können sie zu Entzündungen und in der Folge zu Narben und Verwachsungen führen.
Welche Ursachen dieser Krankheit zugrunde liegen, ist nicht bekannt. Darüber wird schon seit über 100 Jahren gerätselt. Es gibt verschiedene Theorien und wahrscheinlich spielen mehrere Faktoren eine Rolle.
Warum haben die Frauen so starke Schmerzen?
Das ist ganz einfach: Die Endometriose ist eine Entzündung und eine Entzündung verursacht Schmerzen. Bei der Endometriose konnte man nachweisen, dass Nervenzellen zu dem Endometrioseherd hineinwachsen und das verursacht die starken Schmerzen.
Eine von zehn Frauen soll betroffen sein. Ist die Zahl richtig?
Wahrscheinlich ja. Letztendlich kann die Endometriose nur durch eine Bauchspiegelung gesichert werden. Nun bekommen weltweit jedoch nicht alle Frauen eine OP, das heißt, es ist eigentlich eine Dunkelziffer. Von den Auswertungen, die zur Verfügung stehen, wird geschätzt, dass jede zehnte Frau Endometriose hat. Das sind jährlich bis zu 40.000 Neuerkrankungen in Deutschland.
Woran erkennt man eine Endometriose?
Die zwei Hauptsymptome einer Endometriose sind Schmerzen und der unerfüllte Kinderwunsch trotz regelmäßigem Geschlechtsverkehr. Die Regelschmerzen müssen jedoch nicht mit dem ersten Tag der Menstruation eintreffen, sondern können auch sieben bis zehn Tage davor beginnen. Genau dann, wenn sich die Gebärmutterschleimhaut auf die Abblutung vorbereitet. Und dieser Prozess findet parallel auch in den Endometrioseherden statt.
Man kann sagen, dass Frauen, die ein paar Tage vor der Regelblutung Unterbauchschmerzen haben und starke Schmerzmittel nehmen müssen, höchstwahrscheinlich an einer Endometriose erkrankt sind. Wichtig zu wissen ist auch, dass der Schweregrad der Erkrankung nicht mit dem Grad der Schmerzen korreliert.
Außerdem klagen viele Frauen über Schmerzen beim beziehungsweise nach dem Verkehr. Beim Sex werden Gebärmutter, Eierstöcke und Scheide bewegt und wenn überall eine Entzündung dranhängt, dann tut diese natürlich weh. Andere Symptome sind Schmerzen beim Stuhlgang oder Wasserlassen. Auch Rückenschmerzen oder Schulterschmerzen können auftreten, je nachdem, an welchem Ort sich die Endometriose befindet. Typisch ist, dass die Schmerzen immer mit dem Zyklus korrelieren.
Viele Frauen klagen auch über einen “Endometriose Belly” (kurz: “Endo Belly”). Dieser geht oft mit Blähungen einher. Blähungen sind bei Frauen ein häufiges Phänomen, vor allem zu Beginn oder kurz vor der Periode. Bei Endometriosepatientinnen ist das häufig ausgeprägter.
Und das zweite Hauptsymptom?
Das zweite große Hauptsymptom ist die Kinderlosigkeit. Wenn eine Frau einen unerfüllten Kinderwunsch hat, welcher länger als zwölf Monate dauert, laden wir sie herzlich zu unserer Endometriose-Sprechstunde ein. Natürlich kann die Kinderlosigkeit auch eine andere Ursache haben oder mit der Zeugungsfähigkeit des Mannes in Verbindung stehen, aber ca. 40-50% der Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch, haben eine Endometriose. Daher macht es auch Sinn, zu uns in die Sprechstunde zu kommen und sich behandeln zu lassen.
Was sind die Folgen einer Endometriose?
Die Folgen sind neben dem unerfüllten Kinderwunsch sowie Verwachsungen, Zystenbildungen und Schmerzen die sozialen und beruflichen Beeinträchtigungen, aber das ist kein persönliches, sondern ein gesellschaftliches Problem. Der französische Präsident Emmanuel Macron meinte in diesem Jahr: „Ce n’est pas un problème de femmes, c’est un problème de société.” (Das ist kein Frauenproblem, das ist ein Gesellschaftsproblem.”). Ich finde es toll, wenn sich ein Präsident so positioniert und die Krankheit die berechtigte Aufmerksamkeit bekommt.
Gibt es eine Heilung bei Endometriose oder werden lediglich die Symptome behandelt?
Meistens kommt es zu einer Hormontherapie, das heisst, die Frauen bekommen eine spezielle Pille, die auf die Endometriose abgestimmt ist (keine Anti-Baby-Pille) und die man relativ lange einnimmt. Auch ein operativer Einsatz kann bei einer Endometriose helfen. Durch Studien wissen wir, dass bei den Frauen dadurch das Leid gelindert werden kann und die Symptome sehr gut kontrolliert werden können. Wenn die Endometriose entfernt wurde, kann man sie als geheilt betrachten. Wenn man nach einer Endometriose OP keine Pille anschließt, kommt die Endometriose in sehr vielen Fällen wieder.
Ist Endometriose eine Modeerkrankung?
Das ist eine sehr spannende Frage. Früher ist die Krankheit nicht so in den Vordergrund getreten, obwohl sie schon 1690 entdeckt wurde. Die heutigen Frauen sind beruflich und privat viel engagierter und selbstbewusster. Außerdem entscheiden sich heutzutage auch viele Frauen gegen die Pille. Wenn man die Pille nimmt, ist die Menstruationsstärke viel geringer, denn die Gebärmutterschleimhaut (und auch die Endometriose) baut sich nicht so stark auf und blutet nicht so stark ab.
Viele Frauen mit einer Endometriose haben eine depressive Verstimmung und erleben, dass diese durch die Pille verstärkt wird. Ca. 25% der Frauen setzen daraufhin die Pille ab und dann wird aber die Endometriose wieder stärker. Und das ist dann echt ein Teufelskreis.
Früher hatten die Frauen schon viel eher Kinder. Wenn man schwanger ist oder stillt, ruht die Endometriose und es kommt nicht zu den typischen Beschwerden. Damals hatten die Frauen auch viel mehr Kinder, das heißt, viele waren einige Monate nach der Stillzeit wieder schwanger. Und die Lebenserwartung war damals einfach nicht so hoch. Dadurch hatten die Frauen viel weniger Zyklen.
Wo kann man sich hinwenden, wenn man den Verdacht hat, an Endometriose erkrankt zu sein?
Jede Frau ist herzlich eingeladen, zu unserer Endometriose-Sprechstunde zu kommen. Wir haben ein Netzwerk an Spezialisten, wir kooperieren mit Kinderwunschzentren sowie Selbsthilfegruppen. Jede Frau füllt bei uns einen Anamnesebogen aus und wir führen eine gynäkologische Untersuchung durch. Im Anschluss wird dann das individuelle und weitere Vorgehen besprochen.
Wie viel Aufklärung ist noch nötig?
Aufklärung ist sehr wichtig, aber ich glaube, in den Ballungszentren ist der Bann gebrochen. Auch bei Facebook und Instagram spielt die Krankheit eine immer größere Rolle. Außerdem gibt es mittlerweile auch schon Dokumentarfilme. Die weitere Aufklärung ist notwendig, aber wir sind auf einem guten Weg.
Lieber Herr Dr. Schlag, vielen Dank für das Interview!
Für alle Potsdamerinnen und aus dem Umland: Endometriose-Sprechstunde im Alexianer St. Josef Potsdam:
→ Termin-Anfrage unter 0331-96827500 oder unter gyn-potsdam@alexianer.de (Sekretariat der Klinik (Frau Hauffe))
→ Janine Scherz ist die Ansprechpartnerin für die Selbsthilfegruppe in Potsdam: Anmeldungen und Anfragen per Mail an: endo.shg.potsdam@gmail.com
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