Queere Kinderbücher – Ein Interview mit Autor, Buchhändler und Aktivist Linus Giese

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Es muss über 10 Jahre her sein, seit mir Linus Giese das erste Mal im Netz begegnete. Damals hatte ich selbst noch ein Bücherblog, die Bookbubble war noch relativ klein und ich stieß sehr schnell auf Buzzaldrins Bücher und nahm dort einige gute Empfehlungen mit. Seither ist viel passiert. Klassische Blogs kommen mir heute eher vor wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten, aber Linus habe ich – dank seines Instagram Accounts – nie aus dem Blick verloren. Er hat inzwischen selbst ein Buch geschrieben. „Ich bin Linus“, in dem er von seinem Leben als trans Mann erzählt, erschien 2020 im Rowohlt Verlag.

Linus ist Autor, Aktivist, Moderator und Übersetzer und arbeitete bis vor Kurzem bei She Said in Berlin-Neukölln, einer Buchhandlung für Autorinnen und queere Autor*innen und ich könnte mir keinen besseren Ansprechpartner vorstellen, wenn es um Kinderbuchtipps abseits von Conny und Co. geht.

 

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Lieber Linus, steigen wir doch direkt mal mit deinen liebsten Kinderbüchern ein. Welche Bücher für Kinder bis 5 Jahre empfiehlst du in deinem Beruf als Buchhändler am häufigsten und welche Buchtipps hast du für die etwas älteren Kids?

Ich glaube, am häufigsten empfehle ich die Buchreihe rund um die beiden Freund*innen Kalle und Elsa, da gibt es mittlerweile schon drei Teile und mich begeistern an allen Büchern die großartigen Zeichnungen, die Freundschaft zwischen den beiden Kindern und die Tatsache, dass das Buch so frei von Geschlechterklischees ist. Ein anderes Buch, das ich auch sehr oft und sehr gerne empfehle, ist das Buch „Der beste Babysitter bin ich!“. Eltern wünschen sich oft queere Geschichten für ihre Kinder, aber viele queere Kinderbücher sind erklärend oder problematisierend. Das muss es auch geben, aber ich wünsche mir manchmal mehr stinknormale Geschichten und das ist so eine! Johanna von Horn erzählt in ihrem Kinderbuch von zwei Müttern und einem Kind, von dem ganz ohne Geschlechterzuschreibungen erzählt wird. Das finde ich toll! Für die etwas älteren empfehle ich am häufigsten „Viele Grüße, deine Giraffe“ – einen herrlich liebevollen Briefroman. Und für die Jugendlichen gibt es gerade ganz viele tolle diverse Geschichten – dabei denke ich zum Beispiel an „Felix ever after“ oder „Yadriel & Julian“.

Kalle und Elsa lieben wir auch. Und von „Viele Grüße, deine Giraffe“ gibt es auch eine wunderschöne Hörfassung. In den meisten Büchern, die mir begegnen, sind aber immer noch klassische Rollenbilder und traditionelle Familienmodelle vorherrschend und wenn doch einmal etwas anders ist, dann wird das besonders hervorgehoben. Bücher, in denen verschiedene Lebensrealitäten einfach gelebt werden, sind selten. Hast du den Eindruck, dass sich da etwas tut oder ist Vielfalt in Kinderbüchern immer noch ein Nischenthema?

Ich teile deinen Eindruck: Vielfalt ist in vielen Kinderbüchern noch kein selbstverständlicher Bestandteil. Ich finde das oft schade – es braucht Bücher, die erklären und einordnen, aber es braucht auch einfach selbstverständlichere Geschichten. Kinder möchten sich ja nicht ständig damit auseinandersetzen, dass sie anders sind, sondern wollen sich in Kinderbüchern gesehen und gespiegelt fühlen. Ich glaube, dass es ganz wichtig für Kinder ist, sich selbst in Büchern sehen zu können, um das Gefühl zu haben, dass mit ihnen alles in Ordnung ist. Ich erlebe in den letzten zwei Jahren aber auch, dass sich da einiges tut. Ich denke dabei zum Beispiel an das Kinderbuch „Alex abgeholt“, in dem es um ein Kind geht, das nicht aus dem Kindergarten abgeholt werden möchte. Da wird eine Geschichte erzählt, bei der Vielfalt ganz selbstverständlich mitgedacht wird.

Gibt es Bücher aus deiner Kindheit, die du heute mit ganz anderen Augen siehst und nicht mehr empfehlen würdest und welche Bücher liebst du heute noch genau so sehr wie damals?

Ich selbst bin mit Astrid Lindgren und Michael Ende aufgewachsen, empfehle die Bücher der beiden heutzutage aber nicht mehr im Buchladen. Eine Buchreihe, die ich aber heutzutage noch genauso liebe, wie damals, sind die Geschichten rund um Willi Wiberg. Willi ist mit seinem alleinerziehenden Papa aufgewachsen, das war für die damalige Zeit ganz schön progressiv!

Kürzlich kam meine Tochter mit DER Frage um die Ecke, die in meiner Kindheit noch für rote Ohren sorgte: „Mama, wo kommen eigentlich die Babies her?“ Im Unterschied zu meinen Eltern damals habe ich kein Problem damit, Tacheles zu reden. Ich möchte nichts weglassen, meine Tochter mit ihren fünf Jahren aber auch nicht überfordern. Hast du gute Buchtipps zum Thema Aufklärung?

Eines meiner allerliebsten Aufklärungsbücher zur Zeit ist „Ein Baby! Wie eine Familie entsteht“ von Rachel Greener. Das Buch erzählt von Zeugung (es werden auch Samenspende und künstliche Befruchtung erwähnt), Schwangerschaft, Geburt und vielfältigen Familienmodellen. Das ist ein wirklich gutes – und inklusives – Aufklärungsbuch, das ich für alle Kinder ab 5 Jahren empfehle. Empfehlenswerte finde ich auch „Samira und die Sache mit den Babys“ und „Wie entsteht ein Baby?“ von Cory Silverberg.

 


Du erzählst in deinem Buch „Ich bin Linus“ von deinem Coming-Out und deinem Leben als trans Mann. Hast du einen Tipp für gute trans Kinderbücher? (Blöde Frage, hast du natürlich!)

So blöd ist die Frage gar nicht, denn da gibt es leider noch viel zu wenig. Ich empfehle immer gerne „Teddy Tilly“ (über eine Teddybärin, die kein Teddybär mehr sein möchte) und „Ein Fuchs namens Henry“ (über einen Fuchs, der weiß, dass er kein Hase ist). Ganz frisch erschienen ist auch das Kinderbuch „Florian“, das ich übersetzen durfte. Da geht es um Florian, der sich als trans Junge outet  und dabei sowohl von seinen Eltern als auch von der Schule liebevoll unterstützt wird. Das sind alles drei Bilderbücher, für ältere Kinder gibt es leider noch kaum etwas – was ich sehr schade finde!

Und Tipps für Eltern, die ihre Kids auf ihrem Weg begleiten wollen und dabei einen guten Ratgeber suchen?

Wenn Eltern von trans Kindern nach Rat suchen, dann empfehle ich immer gerne „Was wird es denn? Ein Kind“ von Ravna Marin Siever und „Mädchen, Junge, Kind“ von Daniela Thörner.

Noch ein Tipp zum Vormerken: Im September 2022 erscheint das Buch „Unlearn Patriarchy“, in dem sich feministische Autor*innen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit dem Patriarchat beschäftigen. Auch Linus ist ein Teil des Buches mit einem Beitrag unter dem Titel „Unlearn Gender.“

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