Nur sehr wenige Ereignisse im Leben sind so einschneidend, dass sie es in ein Vorher und Nachher zu teilen vermögen. Ganz sicher ist die Geburt eines Kindes eine solche Zäsur. Die Geburt des ersten Kindes sogar in außerordentlicher Art und Weise, denn man hat ja vorher keine Ahnung.
Man hat ja keine Ahnung!
Man hat keine Ahnung, wie sehr man lieben kann und man hat auch keine Ahnung wie sehr man plötzlich die Welt und ihre Gefahren fürchten kann. Voll mit Hormonen und überfahren von Glückwünschen changieren die Gefühle nach der Geburt zwischen „Hurra“ und „Oh Gott“.
Noch benommen und überwältigt von dem neuen kleinen Menschen verbringen die meisten Frauen die ersten Tage mit dem Kind auf der Neugeborenenstation, die wie eine Schleuse zur echten Welt wirkt, in die man nur wenige Tage später entlassen wird. Das Essen wird gebracht, die Schwestern erklären, wie das Baby funktioniert und zu Tränen gerührter Besuch bezeugt, dass es sich hier um ein kleines Wunder handelt.
Nachts schlurfen übernächtigt, aber glücklich Mütter und Väter durch die Flure, suchen Rat oder Essen und finden im Krankenhauspersonal fürsorglichen Beistand. Voller Dankbarkeit verabschiedet man sich schließlich aus diesem geschützten Raum und fragt sich, ob man auch die Frau von der Essenausgabe noch schnell drücken soll, weil alle so nett waren und man sein Glück ja gerade kaum fassen kann.
Ein neuer Alltag ohne Schlaf
Zuhause angekommen beginnt das sogenannte Wochenbett, was nichts anderes bedeutet, als ganze Tage ungeduscht im Schlafanzug zu verbringen, Unsummen in Apotheken und Drogeriemärkten zu lassen und der Versuch, sich in den neuen Alltag ohne Schlaf einzufinden. Erst, wenn man sein ganzes Geld für Bäuchleinsalbe, Milchpumpe und Nasensauger ausgegeben hat, findet sich langsam wieder eine Nachtruhe, die das Abdriften in den kompletten Wahnsinn verhindert.
Diese Grenzerfahrung der eigenen Belastbarkeit wiederholt sich in den kommenden Jahren noch zu diversen Anlässen wie Zähne kriegen oder Kinderkrankheiten und da drängt sich doch die Frage auf, was eigentlich los ist mit Familien, die 3, 4 oder mehr Kinder haben. Dann betrachtet man die 300 Bilder, die man allein am Vormittag von dem Baby gemacht hat und plötzlich weiß man´s! Das Glück hat jetzt einen Namen.
Wahrscheinlich ist einem nichts so vertraut, wie das eigene Kind. Quasi mit Superkräften ausgestattet, wird man nachts schon wach, wenn dem Baby der Nuckel rausfällt. Auch das Fiebermessen per Handauflegen und später sogar Schmerz wegpusten gehören nun zum übernatürlichen Repertoire.
Wenn verdaut wurde, dass die Tage jetzt um 5 Uhr morgens beginnen, kann man sich zu den Vormittags-Latte-Macchiato-Trinkern oder Baby-Kurs-Besuchern gesellen. Geeint durch verschiedene Abstufungen von Übermüdung und Ratlosigkeit zeigt sich, dass es gut tut, zu hören, wie sich auch andere Eltern durchkämpfen. Die Geburtsgeschichte gehört hier genauso zum Konversationsstandard wie Fragen nach dem Stillen oder Durchschlafen. Außer dienstags im Kinderwagenkino – da wird nicht geredet!
Vormittags ist das neue abends
In der Elternzeit ist vormittags das neue abends und so kommt ganz unverhofft eine völlig neue Welt zum Vorschein. Nun weiß man, wann Geschäfte öffnen, welche Cafés ein Frühstücksangebot haben und ob dort ein Kinderwagen reinpasst. PEKiP statt Party, Rückbildung statt Rotwein!
Nach und nach bekommt aber jeder sein Leben zurück, nur findet das dann sehr strukturiert und oft an Orten mit winzigen Stühlen statt. Irgendwie ist man erwachsen geworden, erwachsener zumindest. Man hat auf einmal Weihnachtsdeko und Kindergeschirr, macht sich Sorgen und die Wäsche, nur, um dann festzustellen, dass man wieder seine Eltern fragen muss, wenn man abends ausgehen will.
Text: Andrea Glaß
Andrea (37) ist Potsdamerin, hat eine 10-jährige Tochter und hat im September ihr 2. Kind zur Welt gebracht. Lust auf mehr? Die anderen Kolumnen von Andrea könnt ihr hier nachlesen!
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