Familieninterview: „Wir freuen uns über den Perspektivwechsel!“

Melissa (27) und Felix (29) wohnen mit ihrer Tochter Lima (1 Jahr) in der Teltower Vorstadt. Beide arbeiten als Erzieher in der gleichen Kita und sind täglich von kleinen Kindern umgeben. Was sie am Elternwerden überrascht hat und warum ihr pädagogischer Background manchmal Fluch und Segen zugleich ist, das haben sie uns beim Interview in ihrem Wohnzimmer verraten.

Ihr arbeitet beide in der gleichen Kita – habt ihr euch auf der Arbeit kennengelernt?

Melissa: Ja, tatsächlich haben wir uns in der Kita kennengelernt. Erzähl du mal!

Felix: Letztes Jahr hatte ich meinen ersten Tag als Erzieher an einer Kita und Melissa hat als stellvertretende Leiterin das Einweisungsgespräch mit mir geführt. Dann haben wir zusammen eine Vorschulgruppe begleitet  und viel Zeit miteinander verbracht.

Wann habt ihr festgestellt, dass ihr auch privat mehr Zeit miteinander verbringen wollt?

Felix: Etwa nach 2-3 Wochen habe ich ein paar Kolleg:innen gefragt, ob sie Lust h.tten, zur Afterwork-Party in die Biosph.re zu gehen, um alle besser kennenzulernen.

Melissa: Au.er mir hat aber keiner zugesagt. Also sind wir zu zweit gegangen. Es war ein sch.ner Abend, wir haben Tischkicker gespielt und waren danach noch in einer Bar.

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Felix: Für mich war es neu, dass Melissa so interessiert an mir war. Sie hat viele Fragen gestellt und wollte ganz viel über mich wissen.

Melissa: Eigentlich war ich nicht offen für eine Beziehung, das Verlieben ist einfach so passiert. Felix ist wie ein Wirbelsturm in mein Leben getreten und ich wurde schnell schwanger, was nicht geplant war, aber sehr erwünscht. So standen wir bereits in unserer Kennenlernphase vor großen Herausforderungen und Entscheidungen, die die meisten Paare erst später treffen müssen. Wir sind daran gewachsen und wurden im Oktober letzten Jahres mit dem sch.nsten Geschenk belohnt: die Geburt unserer Tochter Lima.

Perspektivwechsel

Als Erzieher habt ihr jeden Tag Kinder um euch herum – was hat euch am meisten überrascht, als ihr selbst Eltern wurdet?

Felix: Alles! Ich dachte, als Erzieher kenne ich mich gut aus und weiß Bescheid. Durch meine Ausbildung und diverse Weiterbildungen hatte ich ja viel Theorie. Aber als Lima kam, habe ich gemerkt, das ist eine ganz andere Nummer. Da ist plötzlich ein Neugeborenes, das zarte drei Kilo wiegt und so zerbrechlich ist. Es ist auf alles angewiesen und du bist dafür zuständig, dass dieses Kind überlebt.

Melissa: Stimmt. Die ganze Ausbildung als Erzieherin schützt dich nicht vor Schlafmangel, nicht vor den Emotionen, die du fühlst, wenn dein Kind das erste Mal Fieber hat und nicht vor dem Stress, wenn dein Baby Zähne kriegt. Da ist es v.llig egal, ob man Erzieher ist oder nicht. Da musst du einfach durch als Mama oder Papa.

Felix: Ich hab’s komplett unterschätzt. Ich war unfassbar glücklich, dass Lima da war, aber der Start war für mich schwierig. Auch, weil ich kurz nach der Geburt einen Bandscheibenvorfall hatte. Das heißt, ich konnte kaum laufen und Lima nur unter Schmerzen halten. Dazu hat sie in den ersten Wochen sehr viel geschrien und nix hat geholfen, außer stundenlang mit ihr auf dem Gymnastikball zu wippen. Das war für mich, obwohl ich starke Schmerzmittel nahm, fast unerträglich. Dadurch konnte Melissa sich im Wochenbett auch nicht richtig ausruhen. Ich versuchte zwar alles, was ich konnte, aber trotzdem musste sie vieles übernehmen, was eigentlich mein Part gewesen wäre. Als ich dann operiert wurde, war Melissa das erste Mal für vier Tage alleine mit Lima zu Hause.

Interview Familie Perspektivwechsel Eltern Erzieher

Melissa, wie war das für dich?

Melissa: Sehr herausfordernd. Ich hatte Angst davor, weil Lima ja auch erst zwei Monate alt war und so viel geschrien hat. Aber wir haben das zusammen richtig gut gemacht. Ich hatte das Gefühl, sie spürt, dass das eine besondere Situation ist. Wir sind in den Tagen ein gutes Team geworden und ich bin über mich hinausgewachsen. Von dem Zeitpunkt an war Lima viel entspannter als vorher.

Wie hat sich euer Alltag mit Kind verändert?

Felix: Bei mir extrem. Es hat eine Weile gedauert, bis es in meinem Kopf angekommen ist, dass ich jetzt Papa bin. Anfangs sind Melissa und ich öfter angeeckt, weil ich dachte, ich kann so weitermachen wie vorher. Aber wir haben viel gesprochen und ich habe verstanden, dass ich nicht mehr ständig abends mit meinen Kumpels weggehen kann, weil ich am nächsten Tag Verpflichtungen habe. Da muss ich fit sein, um auf Lima aufzupassen und Melissa zu unterstützen. Für mich war das eine große Umstellung.

Viele Mütter berichten davon, dass sie sich in ihrer Elternzeit einsam fühlen, weil der Partner arbeiten geht und sie tagsüber alleine mit ihren Sorgen sind. Melissa, du hattest quasi „Glück im Unglück“, weil Felix durch seine Elternzeit und die Operation nach dem Bandscheibenvorfall viel zu Hause war in Limas erstem Jahr. Hast du trotzdem das Bedürfnis, dich mit anderen frischgebackenen Mamis auszutauschen?

Melissa: Einsam fühle ich mich nicht, weil ich den ganzen Tag komplett ausgelastet bin. Lima und ich sind viel drau.en und mit dem Fahrrad unterwegs. Manchmal besuchen wir meine Familie, die auch in Potsdam wohnt, also wir haben genug zu tun. Aber ich bin tats.chlich noch auf der Suche nach meinem perfekten „Mommy-Match“. Meine Freundinnen haben alle noch keine Kinder und ich gehe gerne in Krabbelgruppen, um mehr mit anderen Mamas in Kontakt zu kommen.

Als Lima drei Monate alt war, seid ihr umgezogen. Eine kleine Herausforderung mit Baby – wie habt ihr das gemeistert?

Melissa: Ich habe sehr viele Aufgaben delegiert. Am Umzugstag stand ich mit Lima auf dem Arm in der Wohnung und habe gesagt, wo was hinkommt. Meine Freundinnen haben im Bad Kosmetik und Co. ausgepackt, während die Kumpels von Felix Kisten geschleppt haben.

Felix: Wir waren auch sehr gut vorbereitet. Wir hatten in unserer alten Wohnung schon seit Wochen zwischen gepackten Umzugskartons gelebt. Melissa hatte sich vorher genau überlegt, wie die neue Wohnung aussehen soll. Am Tag vor dem Umzug hatten wir schon gestrichen und die neuen Möbel aufgebaut, sodass am nächsten Tag nur noch die Kisten geholt werden mussten. Es war eigentlich kein großer Hit.

Das Los vieler junger Eltern ist es, dass sie von Familie und Freunden mit ungefragten Ratschlägen zum Thema Erziehung überhäuft werden. War das bei euch auch so, obwohl ihr ja „Profis“ seid?

Melissa: Ja, das ging schon los, als ich schwanger war und verstärkte sich, als wir Eltern wurden. Besonders ältere Familienmitglieder gaben oft ihren Senf dazu, so à la „Zieht dem Kind doch mal Socken an!“. Aber ich denke, dass man auch gut gemeinte Ratschläge dankend ablehnen kann, indem man sagt „Danke, aber wir machen das anders.“ Wir sehen das entspannt, denn oft merken die Leute ja gar nicht, dass sie gerade ungefragt Ratschläge geben und manchmal ist ja wirklich was dabei, wo man sagt, das probiere ich mal aus.

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An welchen Werten orientiert ihr euch bei der Erziehung?

Melissa: Für uns ist das Wichtigste, dass wir Lima beständige Liebe geben. Das bedeutet, dass wir auch in stressigen Situationen konsequent liebevoll bleiben, damit sich unsere Tochter in Sicherheit fühlt. Wenn man sich daran h.lt, braucht man auch keine Ratgeber lesen. Wir sind sehr partizipativ, also Lima darf bei uns überall mitmachen und wir nehmen sie überall mit hin. Vom Wäschewaschen übers Kochen bis hin zum Einkaufen. Unser Alltag ist ihre Kindheit. Uns ist es einfach wichtig, dass sie dabei ist und merkt, dass sie ein Teil von uns ist. Wir ermutigen sie, das zu tun, was sie schon kann und geben ihr die Freiheit, Dinge alleine auszuprobieren.

Was macht ihr am liebsten zusammen am Wochenende?

Melissa: Unser Highlight ist das gemeinsame Frühstück am Wochenende. Das zelebrieren wir richtig und nehmen uns immer viel Zeit. Meistens gibt es dann was besonders Leckeres wie frische Waffeln, Kaiserschmarrn oder Eierkuchen. Und dann lesen wir gerne zusammen und gehen raus. Lima liebt Tiere und überall dort, wo Tiere sind, ist sie glücklich.

Felix: Ja, ich finde es sehr wichtig, dass wir viel mit ihr draußen an der frischen Luft sind. Dort kann sie die Natur beobachten, die Blätter am Baum, die im Wind wehen, oder die Tiere.

Ihr kommuniziert mit Lima auch durch Handzeichen – wie kam es dazu, dass ihr Kindergebärden verwendet?

Melissa: Angefangen haben wir damit, als Lima sechs Monate alt war. Ich fand das spannend, dass Lima mit uns kommunizieren kann, bevor sie sprechen kann. Also habe ich die Qualifikation zur Fachkraft für lautsprachunterstützende Gebärden gemacht. Ursprünglich wollten wir ihr damit ermöglichen, zu sagen, wann sie Hunger und Durst hat. Verrückterweise liegt ihre Priorität bei Tieren. Sie hat sehr schnell angefangen, beim Spazierengehen Vögel zu gebärden. Vor kurzem waren wir im Urlaub in Griechenland und sie hat am Strand die ganze Zeit das Zeichen für Möwe gebärdet, weil sie so begeistert war.

In welchem Bereich habt ihr als Eltern unterschiedliche Ansichten?

Melissa: Natürlich gehen wir manche Dinge verschieden an. Aber wenn ich bei Felix etwas beobachte, was ich anders machen würde, frage ich ihn, warum er es so gemacht hat. Aber nicht als Kritik, sondern weil ich wissen m.chte, was seine Intention ist. Dann tauschen wir uns aus, um die Sichtweise des Anderen zu verstehen. Andersrum funktioniert das genauso.

Felix: Ich glaube, ich achte mehr auf Regeln, zum Beispiel wenn es darum geht, dass Lima Essen runterwirft. Das kommt vielleicht aus meiner eigenen Kindheit. Aber wir sind beide sehr offen und sprechen immer alles an, weil das besser ist, als es aufzuschieben und sich zu ärgern.

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Wie schafft ihr es, zwischen Füttern, Windeln wechseln und Hausarbeit, euch als Paar nicht zu verlieren?

Melissa: Das finde ich schon sehr schwierig. Eindeutig eines der Dinge, die ich total unterschätzt habe, weil es gefühlt gar keine Zeit für uns als Paar gibt. Am Ende des Tages bin ich meist so fertig, dass ich mich einfach mit Lima zusammen hinlege. Aber jetzt, wo sie auch mal 2-3 Stunden zu meiner Familie kann, haben wir angefangen, regelmäßige Dates zu organisieren. Einmal im Monat plant einer von uns beiden ein Date und überlegt sich was Schönes. Dabei wechseln wir uns ab. Das ist meistens tagsüber, weil Lima nachts noch bei uns schläft.

Felix: Das sind ganz einfache Sachen. Mal einen kleinen Spaziergang machen, mal auf den Markt gehen. An unserem ersten Date haben wir einen Flug mit einer Cessna gemacht. Das war schön, aber Melissa konnte es leider nicht so genießen.

Melissa: Mir war so schlecht… Aber wir wollen jetzt wirklich wieder anfangen, uns als Priorit.t zu sehen. Das ist auch so etwas, was mir vorher keiner gesagt hat, wie anstrengend das ist, weil man aktiv die Nähe des Anderen einfordern muss. Dazu geh.rt auch mal zu sagen: „Ich brauche dich jetzt!“ Wir hoffen, dass es wiederkommt, dass wir auch mal zusammen einen Film schauen können. Aber wir sind auf einem guten Weg.

Melissa, du bist bis März 2025 in Elternzeit – Wird Lima dann in eure Kita gehen?

Melissa: Nein, wir haben uns dagegen entschieden. Wir wollen für Lima einen eigenen Rahmen schaffen und glauben, dass es gesünder ist, wenn sie in eine andere Kita geht – einfach auch, um einen Rollenkonflikt für uns zu vermeiden.

Felix: Melissa wechselt demn.chst auch die Kita. Es ist sonst einfach zu viel. Melissa ist meine Vorgesetzte und wir sehen uns den ganzen Tag auf Arbeit, dann abends zu Hause. Dann hat man irgendwann auch nichts mehr zu besprechen.

Familieninterview Potsdam Kleinkind

Welchen Einfluss hat das Elternsein auf eure Arbeit als Pädagogen?

Melissa: Ich denke, dass ich viele Eltern jetzt besser verstehen kann, was zum Beispiel die Eingew.hnung angeht. Vorher habe ich mich immer gefragt, warum es den Eltern so schwer f.llt, ihr Kind mit einem Jahr in die Kita zu geben, da sie es ja selber entschieden haben. Und jetzt kann ich mir viel besser vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn man monatelang Tag und Nacht mit seinem Kind verbracht hat und sich dann für acht Stunden von ihm trennen muss. Da bin ich auch gespannt, wie sich das für mich als Mutter anfühlen wird. Das ist ja schon ein krasser Perspektivwechsel, der ganz neu ist. Aber ich freue mich darauf.

Felix: Ein weinendes Kind in der Kita abzugeben, wird für mich als Papa nicht leicht. Als Erzieher tr.ste ich das Kind und wei., nach zwei Minuten ist die Welt wieder in Ordnung. Dieses Vertrauen darf ich als Vater dann auch in die Erzieher entwickeln, die Lima betreuen.

Melissa: Unser Hintergrundwissen ist Fluch und Segen. Als Erzieher wissen wir, wie es ist, wenn Personalmangel herrscht oder eine Erzieherin krank ist und eine fremde Erzieherin einspringen muss, was sehr oft vorkommt. Das ist etwas, was uns als Eltern schon ein bisschen Angst macht. Auch, wie es Lima gelingen wird, beim Mittagsschlaf alleine einzuschlafen, da sind wir sehr gespannt drauf.

Vielen Dank für eure Offenheit und alles Gute für euch!

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