Kolumne: Familienangelegenheiten

Kolumne Familienangelegenheiten

Verregnete Sonntage haben etwas Beruhigendes. Endlich im Schlabberlook vorm Fernseher gammeln, ohne dass irgendein Hochdruckgebiet durchs ungeputzte Fenster mahnt, man solle gefälligst das schöne Wetter nutzen und rausgehen. Sauwetter am Ruhetag? Toll! – Außer man hat ein Kind! Dann hat man ein Problem und muss, statt „Netflix und Chill“, stundenlang Ninjago-Kastanien aus Lego-Kürbis schnitzen und so tun, als könne man den kleinen Verschwindibus unterm Küchentisch überhaupt nicht mehr finden. Mindestens achtmal.

An genau so einem nasskalten Sonntag schreibe ich schon nach der ersten Runde Verstecken eine Nachricht an befreundete Eltern und lade ihre Tochter zum Spielen ein. Letzte Rettung für ein bisschen Me-Time: das Gastkind. Dabei gehört die passende Formulierung zur größten Herausforderung. Denn das Ziel ist die Beschäftigung des Kindes, sodass sich Freizeit für die Eltern ergibt. Wenn man da unvorsichtig ist, muss man am Ende einen Kuchen backen und sich was Richtiges anziehen. 

Also Obacht bei der Einladung, die freundlich geschrieben sein sollte, aber klarstellt, dass man wirklich nur das Gastkind durch die Tür lässt. Die meisten Leute verstehen das ganz intuitiv, aber als meine Tochter noch klein war, saß ich einmal zähe sechs Stunden mit dem Vater ihrer besten Freundin am Küchentisch fest, während unsere Kinder sich wunderbar kreativ und einträchtig miteinander beschäftigten. Das hat sich eingebrannt. Diesmal klappt´s und die befreundeten Eltern bleiben bei der vereinbarten Haustürzustellung. Mein Sohn und seine Freundin tauchen sofort in ihre eigene Welt ab und deswegen kann ich mich mit einem Buch auf die Couch legen. 

Wo sind die Geschwister?

Nur kurze Zeit später stehen die Beiden mit glühenden Wangen vor mir und haben eine Frage: „Wo sind die Geschwister?“ will der Besuch wissen. Ich lege das Buch weg, denn ich ahne, dieses Gespräch wird etwas länger dauern. „Die sind bei ihren anderen Eltern.“ sage ich und sehe sofort die Verwirrung, die diese Antwort bei Kindern mit zusammenlebenden Eltern nun mal auslöst. Meinem Sohn ging es ja nicht anders. Wie soll ein Kleinkind auch die Familienvariante Patchwork verstehen, geschweige denn das Konzept Wechselmodell, welches sich hinter der ominösen An- und Abwesenheit der drei Halbgeschwister verbirgt? 

Anfangs, als er noch sehr klein war, lief er durch den Flur und rief laut „Esseeeeeen“, weil er gelernt hatte, dass dann alle aus ihren Zimmern kommen. Als niemand kam, wusste ich, dass ich ihm den Zusammenbau unserer Familie erklären muss. Ich glaube, er hat den Sachverhalt verstanden, kann ihn aber nicht wiedergeben und deswegen stehen beide jetzt vor meinem Sofa und wollen Antworten von mir. Kurz: Wir, mein Freund und ich, haben ein gemeinsames Kind und drei aus jeweils einer früheren Beziehung. 

Familie ist das, was man draus macht

Nach etlichen „Hääääs“ und einer kleinen Skizze hakt das Gastkind nach, warum mein Sohn als einziger nicht wechselt? Und plötzlich fühle ich mich in der Rolle als Erklärbar nicht mehr wohl, denn auch wenn es komplett nachvollziehbar ist, dass unser Sohn nicht von den anderen Eltern mitbetreut wird, ist es doch merkwürdig, hier mit den strikten Gesetzen der Blutsverwandtschaft zu argumentieren. Familie ist doch in erster Linie ein Band zwischen Menschen, die sich füreinander verantwortlich fühlen, die sich unterstützen und ihr Leben miteinander verbringen und schon längst nicht mehr davon abhängig, ob ein DNA-Test das auch wissenschaftlich so zuordnen würde.

Also rette ich mich ein wenig halbseiden auf die Erklärung, dass es mindestens zwei Menschen braucht, um ein Kind zu bekommen, wenn die Eltern aber nicht zusammen wohnen, verbringt das Kind abwechselnd Zeit bei Mama oder Papa. „Der Junge wechselt nicht, weil seine Eltern zusammen wohnen.“ schließe ich. Dann meldet sich das schlechte Gewissen, weil ich in dem Bild der heteronormativen Kleinfamilie geblieben bin und fange an, sämtliche Konstellationen zu ergänzen, die mir zum Thema Familie einfallen, aber da sind die Kinder längst schon wieder in ihre Spiele vertieft. 

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Ich bin sicher, sie wissen auch ohne eine vollständige Liste irgendwie Bescheid. In meiner Familie gibt es z.B. Tanten und Onkel, die keinerlei Verwandtschaftsgrad aufweisen und nahe Blutsverwandte, die nicht mal meine Adresse kennen. Familie ist eben vor allem das, was man draus macht. Und für mich der Ort, an dem man sonntags im Schlabberlook auf der Couch liegen kann.

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