„Wir Eltern dürfen beim Thema Zocken ein Stück entspannter werden.“

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Sind eure Kinder auch verrückt nach „zocken“, also dem Spielen per Konsole oder App auf dem Smartphone oder Tablet? Wir Eltern sind hier oft verunsichert, ob das wirklich „gut“ für unsere Kinder ist und verzweifeln am täglichen Kampf über Medienzeiten. Wir haben darüber mit Kerstin Butenhoff gesprochen. Die 45-Jährige berät seit drei Jahren als Digitalcoachin Eltern rund ums Thema Medien, unter anderem für die AKJS (Aktion Kinder- und Jugendschutz Brandenburg, siehe Infoblock ganz unten).

Liebe Frau Butenhoff, Sie sind selbst Mutter von zwei Teenagern – da ist es sicher sehr praktisch, ausgebildete Digitalcoachin zu sein?

zocken kinder tipps interview games appsKerstin Butenhoff: In der Tat war das ein Grund für meine Weiterbildung, ursprünglich bin ich Journalistin. Mit meinen Kindern habe ich alle klassischen Fettnäpfchen mitgenommen, zumal ich seit acht Jahren alleinerziehend bin und daher auch für alles allein verantwortlich war.

Zu einem Weihnachtsfest wurden Kindertablets geschenkt und zuerst war auch alles ganz schick, aber kaum ging nach den Ferien die Schule wieder los, begann das Drama. Die Kinder wollten die „voll coolen Spiele, die ALLE aus der Klasse spielen dürfen“, sie spielten immer mehr und zu Uhrzeiten, wo es eigentlich nicht erlaubt war. Ich habe sie dann eines Tages spät abends beim heimlichen Zocken erwischt, weil man da besonders gut „andere Clans angreifen konnte“. Da war klar, es muss sich etwas ändern. Nun bin ich mit Herzblut dabei, andere Eltern zu unterstützen.

Was sind die größten Sorgen der Eltern in Bezug auf das Zocken?

Nur weil wir das früher nicht hatten, ist es nicht unbedingt schlecht.

Sie machen sich Sorgen, dass ihre Kinder zu viel Zeit online verbringen. Aber nur, weil wir das früher nicht hatten, ist es nicht unbedingt schlecht. Ich habe früher heimlich bis spät mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen. Auch da haben Eltern aber schon zwischen guten und schlechten Medien unterschieden – ein Buch galt als gut, ein Comic als schlecht. Heute sind Eltern schon dankbar, wenn das Kind wenigstens ein Comic liest, weil sie Lesen für „gut“ halten. Wir Eltern müssen diese Medienverschiebung aushalten. Meine Tochter liest gern, mein Sohn schaut lieber YouTube-Videos und eignet sich darüber viel Wissen an. Wir Eltern dürfen hier ein Stück entspannter werden, auch beim Thema Zocken. Natürlich nicht ab einem Alter von zwei Jahren und nicht dauernd und nicht alles.

Was ist an Games so faszinierend?

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Bücher und Filme sind immer irgendwann zu Ende. Viele Spiele gehen immer weiter und weiter und die Kinder möchten dran bleiben. Das ist für uns Eltern oft unverständlich und wir fragen dann: „Spielst du etwa immer noch das Spiel?“ Ja, denn diese Woche gibt es wieder drei neue Level. Es ist oft auch ein Spiegel, den wir hier vorgehalten bekommen. Wir sagen: „Warum musst du denn immer vor dem Bildschirm hängen?“ und schauen selbst permanent aufs Handy. Das ist Kindern schwer zu vermitteln – bei mir ist es Arbeit, aber du darfst nicht!

Die Corona-Zeit mit Home Office und Homeschooling macht es natürlich aktuell besonders schwer.

Wir Eltern sind einfach nur müde.

Ja, die Kinder hängen mehr vor den Medien und es ist ok! Wir sind gerade alle am Limit und müssen schauen, was uns gerade den Tag rettet. Wenn ich einen wichtigen Videocall habe, dann können die Kinder auch mal länger zocken oder einen Film auf Kika schauen. Wir Eltern sind einfach nur müde und jeder muss gerade schauen, wie es in der Familie passt. Die Kinder sind ausgehungert nach sozialen Kontakten, treffen ihre Freunde eben im Moment online. Aber sie werden bald auch wieder zum Fußballtraining gehen und sich mit Freunden treffen und draußen spielen.

Besonders anstrengend ist für viele Eltern das gefühlt permanente Quengeln, zocken zu dürfen.

Kinder haben eine wahnsinnig schlechte Impulskontrolle, das heißt am liebsten möchten sie immer alles sofort. Und sie lernen auch kaum noch, zu warten und sich zu gedulden zu müssen, denn oft sind Medien ja „on demand“ verfügbar, d.h. wir können YouTube-Videos und Filme jederzeit starten, während wir früher auf das Sandmännchen noch warten mussten. Die Kinder müssen wieder lernen, Langeweile auch mal auszuhalten und da gilt es, in der Familie eine Regelung zu finden und diese dann auch durchziehen, auch wenn es anstrengend ist. Langeweile regt die Kreativität an und wenn die Kinder wissen, dass sie bis zu einer bestimmten Uhrzeit nicht zocken oder fernsehen dürfen, fangen sie ganz allein an, sich zu beschäftigen, zu lesen oder zu spielen.

Wenn sie dann zocken dürfen, finden sie gefühlt kein Ende, das Ausmachen fällt schwer und es kommt zu Diskussionen und Frust.

Hier sollte man vorab einen zeitlichen Rahmen festlegen und dann aber nicht abrupt abbrechen, sondern mit den Kindern eine Vereinbarung treffen. Wenn es beim Spielen „Runden“ gibt, sollte man fragen, wie lang so eine Runde dauert. Bei manchen Games wie Brawl Stars ist das schnell vorbei, bei anderen dauert es auch mal 20 Minuten, dann sollte man entsprechend vorher „vorwarnen“. Gibt es wie bei Minecraft keine Runden, sollte man fragen, was die Kinder gerade machen. Kleine Projekte können noch schnell fertig gebaut werden, bei einer großen Burg setzt man einen Zeitrahmen: „In 20 Minuten speicherst du ab und kommst“ und stellt am besten eine Kurzzeitwecker daneben. Ist die Vereinbarung abgelaufen, kann man eingreifen und dann müssen die Kinder mit dem Frust leben.

Aus der Schule bringen Kinder oft neue Ideen für Games mit. Wie kann man hier entscheiden, was sie spielen dürfen und was nicht?

Die Altersfreigabe ist wichtig.

Zunächst einmal mit den Kindern ins Gespräch gehen und fragen, warum sie das spielen wollen, was da passiert und wer es noch spielt. Und dann selbst recherchieren und zum Beispiel bei Online-Spiele-Ratgebern schauen, hier gibt es ganz tolle Internetseiten (siehe unten, Anmerkung der Redaktion). Ich finde auch die Altersfreigabe wichtig, in Deutschland ist diese im eckigen USK-Logo zu finden (USK: Unterhaltunssoftware Selbstkontrolle, Anm.d.R.). Da sitzen Leute dahinter, die sich ausführlich mit den Spielen beschäftigt haben und das unheimlich gut einschätzen können. Aber natürlich kann auch eine 15-Jährige mitunter ein Spiel mit USK 16 spielen, wenn man das als Eltern okay findet, sich informiert hat und es dem Kind zutraut: Das muss man individuell von Fall zu Fall entscheiden.

Außerdem hilft es, sich bei YouTube oder Twitch sogenannte „Let’s plays“ anschauen, hier kann man anderen Gamern beim Spielen zusehen und bekommt für gewöhnlich einen guten Eindruck vom Spiel. Wichtig: immer mehrere Quellen anschauen, denn bei Spielen wie GTA sieht man mitunter 30 Minuten Autorennen und hält es für harmlos, dabei hat es die Altersfreigabe ab 18, denn in anderen Szenen ist es hoch brutal.
Auch die Bewertungen im Play Store geben weiteren Aufschluss und decken zum Beispiel auf, wenn es nach sieben Leveln nur noch mit teuren In-App-Käufen weitergeht. Die meisten Games sind sogar bei Wikipedia zu finden oder die Eltern können in einer Suchmaschine den Spielenamen plus „Kritik“ oder „Bewertung“ eingeben, um sich damit auseinanderzusetzen. Hat man eine Entscheidung getroffen, kann diese den Kindern gut begründet mitgeteilt werden.

In-App-Käufe sind wirklich sehr nervig. Wie kann man hiermit gut umgehen?

Mit jeder App soll Geld verdient werden.

Die Kinder sollten verstehen, dass hinter jedem Spiel eine Firma steht, die Geld verdienen will. Ist die App an sich kostenfrei, wird über Werbung oder In-App-Käufe verdient, mit denen man entweder neue Level oder Charaktere kaufen kann, eine besondere Ausstattung oder Skins, die das Aussehen der Spielfigur individualisieren. Bei den Spielen für jüngere Kinder kann man das häufig noch umgehen, indem man ein paar Euro für ein Game ausgibt, bei älteren Kindern sind zusätzliche Kosten oft kaum zu vermeiden. Das sollten die Kinder dann vom Taschengeld bezahlen, das liegt nicht in der Verantwortung der Eltern. Hier sollte man ein Budget ausmachen, z.B. x Prozent vom Taschengeld und sich dann zunächst immer auf ein Gespräch einlassen, warum das Kind das jetzt kaufen möchte. Die Kinder sollten vorab verstehen, dass Münzen, Sterne oder eben bestimmte Gegenstände etwas Virtuelles sind und wenn sie das Spiel nicht mehr spielen, ist das Geld weg.

Was kann man tun, wenn es zu Problemen kommt?

Zum einen von Anfang an offen mit den Kindern sprechen – „wenn da Menschen im Chat irgendwie unangenehm werden, komm zu mir und wir schauen uns das zusammen an“ und dann melden oder blockieren. Aber bitte den Kindern auch keine Angst und Panik vor dem Internet machen, sondern kindgerecht und überlegt kommunizieren. Es ist nicht immer leicht und easy, aber dazu sind wir Eltern! Das Problem sollte auch begleitet werden und nicht bestraft. Sätze wie „Das hab ich doch gleich gewusst, Handy her!“ ist destruktiv, das Kind wird beim nächsten Problem nicht mehr zu Ihnen kommen. Ein gutes Vertrauensverhältnis ist hier wichtig.

Haben Sie noch Tipps für Spiele, die Kreativität und Lernen fördern?

Ich bin großer Fan von Stop Motion, hier können zum Beispiel mit der App „Stop Motion Studio“ mit LEGO, Knete oder Papier schnell und einfach tolle Trickfilme entstehen. Das lernen auch junge Kinder schnell und Sie können es auch super mit dem Kind zusammen machen. Sie werden überrascht sein, welche Kreativität Ihr Kind hier zeigt! Spaß macht auch die Webseite „Programmieren mit der Maus“ vom WDR, hier können spielerisch selbst tolle Sachen programmiert werden.

Liebe Frau Butenhoff, wir danken für das Gespräch! Portrait-Foto Kerstin Butenhoff: Sandra Schümans

Ihr wollte noch mehr Tipps? Dann schaut in unsere → 10 Elterntipps zum Thema Zocken!

10 Elterntipps zum Thema “Zocken” bei Kindern

Tipp für alle Eltern in Brandenburg:

Die Potsdamer Eltern-Medien-Beratung der Aktion Kinder- und Jugendschutz Brandenburg bieten euch verschiedene Online-Seminare rund um die digitalen Medien, z.B. auch zum Thema Smartphone oder Cybermobbing (abends, ca. 60 Minuten, kostenfrei). Nach den Sommerferien starten hier wieder neue Termine, außerhalb der aktuellen Corona-Beschränkungen kommen sie gern auch in eure Kita, Klasse oder Hort und bieten in ganz Brandenburg Vorträge zu verschiedenen Themen an. → eltern-medien-beratung.de

Literatur zum Thema:*

Medienzeit Mediennutzung Kinder Kleinkinder Jugendliche

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