Auf emotionaler Augenhöhe: Gefühle bei Kindern anerkennen

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„Jetzt wein doch nicht, das ist doch nicht so schlimm!“ – habt ihr das auch schonmal zu eurem Kind gesagt? Warum das nicht der richtige Weg ist, erklärt euch hier Kindheits- und Traumapädagogin Marie Vry:

Im Zusammenleben mit unseren Kindern ist es wichtig, dass diese uns Erwachsene authentisch erleben können. Von vielen Erwachsenen hören wir heute Sätze wie: „Ich habe es nicht anders gelernt“ oder „Bei uns wurde darüber nie gesprochen.“ Es erscheint wichtig, dass wir das zukünftig verändern, damit Kinder eine emotionale Sicherheit bekommen.

Gefühle sollten wahr- und ernstgenommen werden

Wir können und dürfen transparent sein mit unseren Gefühlen. Unsere Kinder sind es vor uns genauso. Indem ich meine eigenen Emotionen vor meinem Kind/ meinen Kindern frei auslebe, bin ich menschlich greifbarer und ermögliche meinem Kind/ meinen Kindern ebenfalls diese Offenheit, mit den eigenen Gefühlen umzugehen. Ihre Gefühle haben sozusagen Platz in meinem/ unserem Alltag und ich nehme diese wahr und ernst.

Bin ich beispielsweise wütend, überspiele ich dieses Gefühl nicht, sondern kann anhand von Worten meinem Kind gegenüber erklären, warum ich gerade so reagiere. Sprachlich sowie körperlich kann ich meine Emotion vor meinem Kind zeigen. Beispielsweise kann ich sagen: „Ich spüre gerade eine Wut im Bauch, die raus muss.“ Wichtig bei offen ausgelebten Emotionen ist es, meinem Kind die Empfindung von „Schuld“ zu nehmen. Indem ich ergänzend sage: „Du bist nicht schuld an meinem Gefühl, es liegt nicht an dir.“, nehme ich meinem Kind/ meinen Kindern die Verantwortung für meine empfundene Emotion.

Da wir Erwachsene häufig das Gefühl haben, uns „zusammenreißen“ zu müssen, strahlen wir auf unsere Kinder aus, dass bestimmte Gefühle besser nicht ausgelebt werden sollten. Dadurch werden bestimmte Emotionen den Kindern unterbewusst „abtrainiert“. Zum Beispiel ist es uns unangenehm, wenn unser Kind sich im Supermarkt auf den Boden wirft und schreit, weil wir „Nein“ zu etwas sagen. Wir versuchen dies aus Schamgefühl schnell zu unterbinden und die Situation hinter uns zu bringen, anstatt unserem Kind zu ermöglichen frustriert und wütend sein zu dürfen.

Das Ausleben von Emotionen ist wichtig

Ermögliche ich meinem Kind/ meinen Kindern nicht, ihre Emotionen ausleben zu können, beginnen diese, bestimmte Emotionen zu unterdrücken. Dies kann in der Zukunft dazu führen, dass Schamgefühle und Gefühle des „Nicht-richtig-seins“ entstehen. Auch das Gefühl des sich „Zusammenreißen-müssens“ spielt hierbei eine Rolle.

Das kann sich auch psychisch verankern. Psychisch aus dem Grund, weil das Unterbinden mancher Gefühle dafür sorgen kann, dass Kinder im Laufe ihres Älterwerdens nicht mehr richtig benennen und in sich fühlen können, wie es ihnen geht. Sie kommen sozusagen nicht mehr an das wahre Gefühl in sich heran. Daraus können unter anderem im schlimmsten Fall depressive Phasen, Depressionen oder andere psychische Erkrankungen entstehen.

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Zum Beispiel könnte daraus folgen, dass Kinder und auch Jugendliche sich nicht mehr richtig spüren können. Im Erwachsenenalter würde dies bedeuten, dass es schwierig wird, sich innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen zu öffnen und authentisch zu sein. Das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein leiden ebenfalls darunter. Es bedarf dann viel Arbeit, sich im Erwachsenenalter selbst wieder wahrzunehmen und ehrlich seine Emotionen auszuleben. Es braucht plötzlich Mut für etwas, was ursprünglich ganz natürlich ist.

Wie kann ich anhand des Supermarktbeispiels nun mit meinem Kind umgehen? Wichtig ist es, sich körperlich auf die Augenhöhe des Kindes zu begeben, um dem Kind zu signalisieren, dass ich seine Gefühle ernst nehme und es in seinen Gefühlen annehme wie es ist. Um ins Gespräch mit dem Kind zu kommen, könnte ich beispielsweise die Emotion des Kindes, welche ich beobachte, ansprechen: „Ich merke, dass du gerade unzufrieden und wütend darüber bist, dass ich „Nein“ gesagt habe. Ich finde es gut, dass du mir deine Emotion zeigst und du darfst diese auch in dir fühlen. Ich verstehe, dass du dich gerade so fühlst, ich werde dir erklären, warum ich „Nein“ gesagt habe.“

Es ist in dem Moment nicht wichtig, was das Umfeld denkt

Für das Gelingen einer solchen Situation bedarf es Zeit. Das heißt, auch ich, als erwachsene Person, muss damit rechnen, dass der Wutanfall länger dauern könnte. In solch einem Fall ist es nicht wichtig, was das Umfeld darüber denken könnte. Denn Sie können über sich sagen, dass Sie auch in dieser Emotion für Ihr Kind da sind und sich ihm annehmen.

Ein Beispiel für versteckte Emotionen ist die Aussage: „Mama/Papa, du bist blöd.“ Hinter diesem Satz steckt ein Gefühl, welches das Kind gerade innerlich empfindet, zum Beispiel könnte das Kind damit meinen: „Mama/ Papa, ich bin sauer.“ Auch hier kann ich wieder ins Gespräch kommen, in dem ich die Aussage nicht bewerte, sondern erst einmal anerkenne, dass mein Kind mir ehrlich etwas damit sagen möchte. Ähnlich wie beim Supermarktbeispiel ist es schön, wenn ein gemeinsamer Austausch entsteht. Auch ich, als erwachsene Person, kann gegenüber meines Kindes mein Gefühl zu der Situation äußern. Somit erlebt das Kind, dass es nicht alleine dasteht mit einem Gefühl.

Gefühle sollten anerkannt und nicht bewertet werden

Ein weiteres Beispiel ist „traurige Momente“. Das Kind beginnt zu weinen und wir ertappen uns manchmal bei dem Satz: „Es ist doch gar nicht so schlimm, alles ist gut.“ Aber wissen wir denn, ob gerade wirklich alles gut ist? Wer sagt uns, dass es sich nicht unangenehm anfühlt für das Kind? Das kann uns nur das Kind selbst sagen und zeigen. Ich, als Erwachsener bin nicht in der Position das Gefühl des Kindes bewerten zu dürfen.

Eine offenere Herangehensweise wäre ein zuwendender Satz wie zum Beispiel: „Ich sehe dich und nehme war, dass es sich für dich gerade nicht schön anfühlt. Ich verstehe, dass es dich traurig macht und du Schmerzen hast. Ich bin für dich da.“ Diese Herangehensweise bringt mich auf Augenhöhe mit dem Kind und schafft einen Raum, in dem jegliches Gefühl seinen Platz hat.

Wächst mein Kind mit dem offenen Umgang von Emotionen auf, kann es später seine Gefühle nach außen hin besser verbalisieren und bei anderen Menschen besser lesen. Somit lernt es Selbstfürsorge und Achtsamkeit. Auch die Empathie und das Verständnis anderen Kindern oder auch Erwachsenen gegenüber wird damit gefestigt.

Kinder dürfen traurig, wütend, fröhlich, verzweifelt, glücklich oder auch zornig sein!

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass jedes Gefühl seine Daseinsberechtigung hat. Indem wir unseren Kindern ermöglichen, frei ihre Gefühle auszuleben, zeigen wir ihnen, dass mit ihnen nichts falsch ist. Sie dürfen traurig, wütend, fröhlich, verzweifelt, glücklich oder auch zornig sein. All diese Gefühle ändern nichts an unserer Zuneigung und Liebe zu ihnen. Zusätzlich unterstützen wir unsere Kinder darin, indem wir selbst offen unsere Emotionen vor ihnen zeigen. Also liebe Eltern, PädagogInnen und Menschen, die mit Kindern ihren Alltag verbringen, bleiben Sie offen, seien Sie authentisch und zeigen Sie sich nahbar. Sie werden damit Ihren Kindern viel Freiheit schenken und die Verbindung zu ihnen aufrechterhalten.

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