Euch wächst alles über den Kopf? Job, Familie, Hobbys… Ihr habt das Gefühl, euch zerreißen zu müssen und fühlt euch überfordert? Ihr steckt in einer psychischen Krise und findet alleine nicht mehr raus? Fresst es nicht in euch hinein, bei der TelefonSeelsorge® bekommt ihr Unterstützung – anonym und rund um die Uhr!
Beate Müller ist seit 20 Jahren Leiterin der TelefonSeelsorge® Potsdam. Jeden Tag helfen sie und ihr Team Menschen mit all ihren Sorgen und Nöten. Über ihre Arbeit und Erfahrungen mit dem ehrenamtlichen Engagement berichtet sie uns in diesem Inter-view.
Frau Müller, wie würden Sie den Kern der TelefonSeelsorge beschreiben?
Die TelefonSeelsorge Potsdam arbeitet täglich an 365 Tagen im Jahr. Sie ist kostenfrei, anonym und unterliegt der Schweigepflicht. Wir bieten seit 30 Jahren ein offenes Ohr sowie Begleitung in belastenden und krisenhaften Lebenssituationen. Unsere Arbeit ist jedoch nicht auf Potsdam begrenzt, die Nummer der TelefonSeelsorge gilt deutschlandweit und zusammen mit 100 weiteren Standorten sind wir rund um die Uhr für Hilfesuchende da.
Kostenlos und anonym – wer sitzt auf der anderen Seite des Telefons?
Dort sitzen Ehrenamtliche, die einen Teil ihrer Freizeit den Ängsten, Sorgen und Problemen der Ratsuchenden schenken. Sie hören zu, spenden Trost, ermutigen, stärken, entlasten und geben Mitgefühl dort, wo oft sonst niemand weiter ist oder in Situationen, in denen es schwerfällt, mit Menschen aus dem Umkreis zu sprechen. Wer in einer Krise bei uns anruft, tritt also mit einem „Laien“ in Verbindung, der sich zwar auf diese Arbeit vorbereitet hat, aber keinne Psychotherapeut:in oder kein:e Psycholog:in ist. Die Gespräche sind sehr persönlich, von Mensch zu Mensch. Das heißt, wer in Not oder Verzweiflung ist, kann sofort mit einem Menschen Kontakt aufnehmen, der offen und bereit ist, zuzuhören und ein helfendes Gespräch zu führen.
Wie viele Anrufe können Sie und Ihr Team bewältigen?
Das Telefon klingelt bei uns rund um die Uhr. Manchmal dauern die Gespräche nur zwei Minuten, in schweren Krisensituationen auch schonmal mehr als eine Stunde. Im Jahr kommen wir dabei auf rund 15.000 Gespräche alleine am Standort Potsdam.
Mit welchen Sorgen und Ängsten wenden sich die Menschen an Sie? Gibt es ein Thema, das besonders Familien betrifft?
Viele Menschen fühlen sich einsam und haben niemanden, mit dem sie über ihre Sorgen sprechen können. Meistens kontaktieren sie uns, wenn sich etwas in ihrem Leben verändert. Das können Krankheiten oder Konflikte in der Familie sein, wie zum Beispiel Trennungen, aber auch berufliche Veränderungen. Oft rufen auch Menschen mit Depressionen an, mit denen wir manchmal immer wieder im Gespräch sind. Ein Thema, das stark zugenommen hat, ist Überforderung. Gerade Familien, die beruflich sehr eingespannt sind, müssen gefühlt immer mehr leisten. Es wird erwartet, dass sie im Beruf funktionieren, das Familienleben wuppen und Kontakt zu Familie und Freunden halten. Das macht viel Druck.
Machen sich die weltweiten Krisen wie Corona, der Krieg in der Ukraine oder die Klimakrise auch in Ihrer Arbeit bemerkbar?
Auf jeden Fall! Das merken wir ganz akut, dass die Ängste der Menschen in weltweiten Krisensituationen deutlich zunehmen. Besonders labile Menschen sind durch schlechte Nachrichten schnell verunsichert und besorgt. Das kennen wir vermutlich alle, dass wir bestimmte Nachrichten schwer aushalten können, auch wenn wir mit beiden Beinen fest im Leben stehen. Wie geht es dann erst Menschen, die ohnehin schon mit persönlichen Themen belastet sind? Sie brauchen dann jemanden, mit dem sie sich darüber austauschen können, um ein Gefühl der Sicherheit zu bekommen.
Gibt es Dinge, die man anonym besser besprechen kann als mit Freunden oder Bekannten?
Oft ist es tatsächlich so, dass der Blick eines fremden Menschen viel hilfreicher ist als von Leuten aus dem Umfeld. Die Mitarbeitenden der TelefonSeelsorge sind neutral und können mit der Außenperspektive ganz andere Fragen stellen. Bei Freunden ist es häufig so, dass sie eher Ratschläge geben und denken, sie müssten was tun, um das Problem zu lösen. Unser Ansatz ist es, zuzuhören, die Trauer oder die Wut aufzufangen und gemeinsam nach einem möglichen Lösungsweg zu schauen. Dadurch fühlen sich die Hilfesuchenden entlastet und können wieder klar denken.
Welche Anrufe sind die schlimmsten?
Es sind die Anrufe, bei denen jemand sagt, dass er nicht mehr leben möchte. Manchmal passiert das mitten im Gespräch, so ganz beiläufig, aber so einen Satz nehmen wir immer sehr ernst. Das sprechen wir dann sofort an und stellen Fragen, um herauszufinden, wie ernst dieser Satz gemeint ist und wie konkret die Pläne sind. Hilfreich in solchen Situationen sind auch sehr offensive Fragen wie: „Wenn Sie sich das Leben genommen haben, was glauben Sie, wer Sie vermissen wird?“ Damit gehen wir nicht in die Wertung und versuchen nicht, demjenigen etwas auszureden. Stattdessen bringen wir einen Denkprozess ins Rollen, um den Anrufenden zum Reflektieren zu bringen. Das sind dann Kriseninterventionen. Sollte sich die Lage am Ende des Gespräches gebessert haben, besprechen wir noch, dass derjenige sich wieder meldet, sobald die Gedanken wiederkommen.
In Fällen, in denen andere Menschen gefährdet sind, weil zum Beispiel jemand eine Straftat plant, müssen wir die Polizei einschalten. Aber das passiert zum Glück ganz selten.
Wie schaffen Sie und Ihr Team es, sich immer wieder auf andere Menschen mit ganz unterschiedlichen Problemen einzustellen?
Unsere Ehrenamtlichen durchlaufen eine intensive Ausbildung. Dabei erfahren sie viel über Gesprächsführung und typische Problemfelder wie Suchterkrankungen und Depressionen. Und natürlich lernen sie dort auch, wo ihre persönliche Belastungsgrenze liegt und wen sie ansprechen können, wenn ihnen ein Fall sehr nachgeht.
Die Probleme der Menschen zu hören, kann ja sicher auch belasten – was motiviert Sie persönlich bei Ihrer Arbeit?
Es ist eine sehr sinnstiftende und erfüllende Arbeit, weil wir Menschen im Gespräch begleiten und ihnen den Rücken stärken können. Wir helfen ihnen dabei, den Moment auszuhalten, wieder ein Licht zu sehen und mehr Zuversicht zu bekommen. Das gibt mir persönlich sehr viel.
Wie wichtig sind Ehrenamtliche für Ihre Arbeit?
Ohne die Ehrenamtlichen würde es uns nicht geben. Die TelefonSeelsorge Potsdam feiert in diesem Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Das Konzept, Menschen telefonisch zu begleiten, ist vor rund 70 Jahren entstanden und es ist immer weitergewachsen. An den mehr als 100 Standorten in ganz Deutschland sind überall Ehrenamtliche, die mit ganzem Herzen dabei sind. Das ist ja auch das Besondere, dass bei uns Menschen am Telefon sitzen, die Lebenserfahrung haben und den Anrufenden sehr persönlich begegnen.
Sie betreuen 130 Ehrenamtliche, die sich in der Potsdamer Telefonseelsorge engagieren. Doch Sie suchen noch weitere ehrenamtliche Mitarbeiter:innen. Was sollte man dafür mitbringen?
Ja, wir suchen dringend nach neuen Ehrenamtlichen. Dabei wünschen wir uns neugierige, aufgeschlossene Menschen, die belastbar und teamfähig sind. Sie sollten auch daran interessiert sein, sich persönlich weiterzuentwickeln. Unsere Ausbildung dauert acht Monate, ist kostenfrei und findet an mehreren Wochenenden und Abenden statt und wird von kompetenten Fachleuten geleitet. Dort lernen die Ehrenamtlichen, wie sie am Telefon selbstständig und selbstverantwortlich helfende Gespräche führen können. Dabei arbeiten sie aktiv und unmittelbar an einer gesellschaftlich wichtigen Aufgabe mit.
Was erwartet neue ehrenamtliche Mitarbeiter:innen?
Wer bei uns anfängt, verpflichtet sich zu einer dreijährigen Mitarbeit. Eine Gemeinschaft von ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen muss bestrebt sein, die anfallenden Lasten gleichmäßig zu verteilen. Es ist daher notwendig, dass sie pro Monat drei Dienste á vier Stunden übernehmen, dazu gehören auch Nachtdienst und Dienste an Wochenenden und Feiertagen. Einmal im Monat treffen sich die Ehrenamtlichen in einer Gruppe, um sich gegenseitig zu stärken, Gespräche zu reflektieren und sich fachlich weiterzuentwickeln. Wer diese Chance nutzt, wird mit allen Herausforderungen und Belastungen, die das Ehrenamt mit sich bringt, Freude und Erfüllung in der Arbeit finden.
Liebe Frau Müller, vielen Dank für das Gespräch! Wenn ihr an einer ehrenamtlichen Mitarbeit in Potsdam interessiert seid, findet ihr hier weitere Informationen.
Deutschlandweiter Kontakt zur TelefonSeelsorge®
Die TelefonSeelsorge® ist ein Beratungs- und Seelsorgeangebot der evangelischen und der katholischen Kirche. Sie ist kostenfrei und rund um die Uhr für ein anonymes und vertrauliches Gespräch zu erreichen. Die kostenfreie Telefonnummer der TelefonSeelsorge® lautet deutschlandweit:
0800 / 111 0 111 und 0800/ 111 0 222
Die Telefonseelsorge® bietet neben Gesprächen am Telefon auch Beratung und Seelsorge per Mail und Chat im Internet an. telefonseelsorge.de
Kinder- und Jugendtelefon
Ihr seid Kinder und Jugendliche und braucht jemandem, mit dem ihr über eure Probleme sprechen wollt?
Die Nummer gegen Kummer: 116 111 (kostenfrei)
Samstags zwischen 14 und 20 Uhr beraten ausschließlich Jugendliche zwischen 16 und 27 Jahren am Kinder- und Jugendtelefon.
Hier könnt ihr vertraulich und anonym über eure Probleme sprechen, z.B.:
- Freundin oder Freund hat Schluss gemacht
- Eltern wollen sich trennen
- Vater oder Mutter wird immer häufiger gewalttätig
- erste sexuelle Erfahrungen
Weitere Expert:innen-Tipps findet ihr in unserer Rubrik „Elternsein & Erziehung„, zum Beispiel:
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