Familie ist, wenn Menschen sich miteinander verbunden fühlen, füreinander sorgen wollen, Verantwortung füreinander übernehmen und aneinander teilhaben. Familienmitglieder sehen sich durch Gemeinsamkeiten geeint. Die Lebenswelten von Familien können sich jedoch stark unterscheiden. Wie sehen moderne Familien aus? Warum sind sie so wichtig für uns? Mit welchen Herausforderungen müssen Familien umgehen? Wir haben Hausbesuche gemacht und mal nachgefragt. In dieser Reihe stellen wir Euch Menschen vor, die aus ihrem Familienleben erzählen. Als erstes haben wir bei der Regenbogenfamilie von Anne und Maren geklingelt. Die beiden sind ein gleichgeschlechtliches Paar und haben zwei Kinder im Alter von 13 und 8 Jahren. Anne und Maren wohnen mit ihren Kindern (13 und 8) in der Familiengegend Potsdam West. Die beiden Frauen haben in der Hansestadt Wismar Architektur studiert und sich 1999 im Studium kennengelernt. Seit 2002 leben beide in Potsdam.
Dass die beiden gemeinsam Kinder haben wollten, stand ziemlich schnell fest. Der Weg zu ihrer Regenbogenfamilie war jedoch nicht leicht, denn es fehlte sowohl an Vorbildern für dieses Lebensmodell als auch an Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch. Und das fing schon beim Outing an: Lesbisch sein, mit einer Frau leben und trotzdem eine Familie gründen, das war Ende der 90er Jahre, als Anne und Maren sich kennenlernten, noch Feldforschung. Doch für beide war das im Grunde keine neue Erfahrung. Schon in ihrer frühesten Kindheit und Jugend fehlten sowohl gesellschaftlicher Diskurs über gleichgeschlechtliche Lebenswelten als auch Identifikationsmöglichkeiten in Film, Musik und Literatur. Anne erinnert sich, dass sie sich ziemlich allein fühlte mit ihrer Art zu lieben.
Oma ist die Coolste
Das Weltbild war heteronormativ, abweichende Geschlechterrollen oder Identitäten hatten wenig Platz zwischen dem Bild von Liebe zwischen Mann und Frau oder der Mutter-Vater-Kind-Familie. Das Heranwachsen war wohlbehütet, aber manchmal von der Frage geprägt: Was ist los mit mir? Was ist anders? Anne erzählt, dass sie die ganze Stadtbibliothek durchforstet hat, um Identifikationsfiguren zu finden. Sie suchte nach Geschichten, in denen es auch andere Liebeskonstellationen gab. Liebe, wie sie sie erlebte: zu Menschen, losgelöst von Stereotypen. Sie fand nichts dergleichen. Antworten für die Möglichkeit oder Idee eines anderen, selbst gestalteten Lebens fanden die beiden erst mit Beginn des Studiums und ihrem Wegzug aus der Kleinstadt.
Das Coming-Out in der Familie war nicht leicht, berichten sowohl Anne als auch Maren. Die Zeit, die sie brauchten, um sich selbst zu verstehen, gestanden sie jedoch auch ihren Eltern zu. Und insgesamt fühlen sie sich heute sehr unterstützt durch ihre Familien. Die offene Auseinandersetzung mit dem Thema Homosexualität tat allen gut. Die Omas wurden zunächst außen vor gelassen, aber die haben sich dann von ganz allein als ziemlich „woke“ erwiesen und die Sache irgendwann ganz offen einfach erfragt, um dem Versteckspiel mit Offensichtlichkeiten ein Ende zu bereiten.
Mutter, Mutter, Kind – geht das?
Das Thema Kinder stand für beide von Anfang an im Raum. Während Anne noch zweifelte, ob sie überhaupt ein Leben mit einer Frau haben könnte, wenn sie gleichwohl auch Kinder wollte, war Maren da viel zuversichtlicher. „Wenn wir das wollen, dann finden wir auch einen Weg“, war ihr Credo. Anne ist heute überzeugt, dass diese Haltung auch die Beziehung zwischen den beiden festigte. Dieses „ja“ zu einem Familienmodell, für das es in der Zeit ihres Kennenlernens noch keine Vorbilder gab, war ein wichtiger Baustein für ein gemeinsames Leben. Die Familien-Leinwand war eben noch weiß und Anne und Maren mussten ihre Regenbogenfarben mühsam in Ämtern und Gesetzestexten suchen. Schritt für Schritt und Frage für Frage dachten sie sich an ihr Lebensmodell heran. Bis es irgendwann eine ganz konkrete Idee davon gab. Die erste Frage war dabei weniger ein „Wie?“ sondern vielmehr ein „Wer?“, denn für beide stand fest, dass die Kinder auch ihre Väter kennenlernen und eine Beziehung zu ihnen aufbauen sollen.
Als die Personen ausfindig gemacht waren, musste viel geredet werden. Die Frage, wer welche Rolle wie ausfüllen möchte, stand im Vordergrund. „Im Nachhinein hatten wir viel Glück“ resümieren beide, denn trotz des engen freundschaftlichen Verhältnisses zu den leiblichen Vätern der Kinder und den klaren vorhergehenden Einigungen über Präsenz, Rollen, Verhalten und Verpflichtungen sind es doch lediglich private Absprachen gewesen, die im Zweifel vor Gericht keinen Bestand gehabt hätten. Wenn einer der samenspendenden Männer plötzlich wegen eines Sinneswandels die Idee der Co-Mutterschaft infrage gestellt hätte, wäre das fragile Gerüst der Regenbogen-Elternschaft schnell umgekippt. Der Vater muss nämlich der Co-Mutter-Adoption zustimmen und hat demnach auch das letzte Wort.
Ein Jahr lang rechtliche Unsicherheit
Anne wurde schnell schwanger. Ein Glück, denn die Krankenkassen übernehmen bis heute keine Kosten für Kinderwunschbehandlungen bei gleichgeschlechtlichen Paaren. Als das erste Kind auf die Welt kam, begann für das Paar eine elende Rennerei um die Anerkennung der Co-Mutterschaft durch Maren. Genauso war es auch bei Anne, als Maren fünf Jahre später das zweite Kind auf die Welt brachte. Die gemeinsam geplanten und bekommenen Kinder müssen jeweils vom nicht leiblichen Elternteil im Verfahren der Stiefkindadoption angenommen werden. Auf dem Papier ist die Co-Mutter bis zur Ausstellung der Adoptionsdokumente eine fremde Person für das nicht leibliche Kind. Das war für beide eine wirklich diskriminierende Erfahrung. Das Abstammungsrecht sieht keine Mutterschaftsanerkennung für lesbische Paare vor. Erst durch die Stiefkindadoption kann die Co-Mutter ein rechtlicher Elternteil werden. In heterosexuellen nicht verheirateten Beziehungen ist der Vorgang ganz klar und einfach. Der Vater erkennt die Vaterschaft über ein beglaubigtes Dokument an.
Seit 2007 sind Maren und Anne daher eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Eigentlich findet Anne die Institution Ehe überholt und hätte sich nicht ohne weiteres dafür entschieden, wäre dieser Status nicht die Voraussetzung für die gegenseitige Adoption der Kinder gewesen. Anne erzählt mir: „Als adoptierende Co-Mutter muss man eine Menge Bürokratie über sich ergehen lassen, obwohl man bereits die Planung des Kindes, die Schwangerschaft und auch die Geburt mit begleitet, regelrecht mitgefühlt hat. Ich musste z.B. für ein Gesundheitszeugnis meine Beweglichkeit unter Beweis stellen.“ Sie steht auf und zeigt mir, wie sie mit den Fingern den Boden berührt, während ihre Beine durchgestreckt sind: „Der Arzt wollte sehen, ob ich das kann.“ Sie konnte, fragte sich aber, was denn wäre, wenn nicht? Ich denke plötzlich, dass ich eine Menge Leute kenne, die damit ihre Schwierigkeiten hätten und trotzdem Eltern sind.
„Wir wollen für die Kinder Verantwortung übernehmen!“
Maren sagt: „Um das gemeinsame Kind adoptieren zu können, machst du alles, auch absurde Dinge. Wir wollen ja für die Kinder gemeinsam verantwortlich sein!“ Obwohl die beiden wussten, dass die jeweiligen Institutionen des langwierigen Prozesses auch nur Ausführende eines stumpfen Protokolls waren, empfanden die beiden Mütter es als extrem belastende Situation, der sie da ausgesetzt waren. Es waren doch ihre Kinder, für die sie hier gezwungen waren, vor Ämtern und Amtsinhaber:innen ihr Leben zu entblößen. Mutter sein war auf einmal von Amtswegen infrage gestellt. Der absurdeste Moment war für beide der, als sie Auskunft über ihre persönlichen Beziehungen und Erfahrungen geben sollten. In Form von Aufsätzen für das Jugendamt mussten sie ihr eigenes Vater-Kind-Verhältnis skizzieren, aufzählen, welche Personen in ihrem Leben wichtig waren, berichten, welche Rolle sie in der Schule hatten, wie sie sich kennengelernt haben, wie der Kinderwunsch entstanden ist. Also ein richtiger Seelen-Striptease mit Einblicken in eine persönliche Lebenssituation, die heterosexuelle Paare bei ihrer Familiengründung niemals preisgeben müssen. „Manche Eltern nehmen sich dafür sogar anwaltliche Hilfe.“, erzählen die beiden. Anne und Maren begreifen erst heute, dass sie damals sehr naiv waren, als sie auf alle Fragen einfach wahrheitsgemäß und ausführlich antworteten.
Das große Finale ist dann der Hausbesuch der Richterin. Die beiden frisch gebackenen Eltern lebten mit dem ersten Kind in einer WG und fragten sich vor Besuchsantritt, ob diese Wohnform überhaupt akzeptiert wird im Hinblick auf das Wohl des Kindes? Am Ende ist ja die Entscheidung über die Adoption abhängig von der Einschätzung der Richter und Richterinnen des Familiengerichts. Dieses ganze Verfahren dauerte ein Jahr. Solange gibt es eben keine rechtliche Verbindung der adoptierenden Co-Mutter zu dem Kind. Das bedeutet im schlimmsten Fall, dass das Kind als elternlos gilt, sollte der leiblichen Mutter während dieses Verfahrens etwas zustoßen. Die Richter*innen entschieden beide Male positiv. Nun standen endlich beide Mütter in der Geburtsurkunde. Obwohl Maren hier lachen muss, weil sie in der Geburtsurkunde von ihrem älteren Kind unter „Vater“ eingetragen ist. Sie fragte die Standesbeamtin damals, ob es kein adäquates Formular gibt? Diese antwortet mit „Nein, das ist ein Standard-Formular“ und äußerte auch gleich ihr Missfallen darüber, dass Anne und Maren mit ihrer Familie nicht zu diesem Formular passten und sie es auch nicht richtig findet, dass sie überhaupt als Familie angesehen werden. Ein richtiger Schlag in die elterliche Magengrube. Maren war als Co-Mutter jetzt also Vater, der Kommentar eine Frechheit, aber das Glück überwog, ihre Regenbogenfamilie war endlich anderen Familien rechtlich gleichgestellt.
Guten Tag, wir sind lesbisch!
Sich zu erklären sind die beiden Frauen auch aus anderen Situationen gewohnt. „Wir outen uns eigentlich permanent.“, stellt das Paar fest. Bei dem Versuch Elternzeit zu nehmen z.B., obwohl die Co-Mutter als Frau gar nicht selbst schwanger ist. Auch bei Arztbesuchen mit den Kindern oder dem Ausfüllen von Formularen sind häufig Erklärungen zu ihrer Familienkonstellation notwendig. Meistens sind die Reaktionen auf ihr Lebensmodell aber positiv. Bei der Suche nach einem Tagespflegeplatz für das erste Kind wurde ihnen ganz bewusst ein Tagesvater angeboten. Die Ergänzung um eine männliche Bezugsperson im Alltag empfanden Maren und Anne als bereichernd.
Für einen Vater ist auch mit zwei Müttern ausreichend Platz
Beide Kinder werden mit voller Offenheit in Bezug auf ihre Herkunft aufgezogen. Das heißt, sie wissen, wer der Vater ist und haben auch regelmäßig Kontakt. Beide Väter haben sich anfänglich zurückgenommen, um die Rolle der Co-Mutter nicht zu beschneiden. Im gemeinsamen Umgang mussten sich alle erst vortasten. In der Nachbetrachtung stellen die beiden Mütter fest, dass die Präsenz aller Eltern bereichernd ist und die Mutterrolle der Co-Mutter durch die Präsenz des Vaters nicht gefährdet ist. Die Häufigkeit des Umgangs mit den Vätern würden Anne und Maren heute offener gestalten und intensiver forcieren. Diese Erfahrung mussten sie sich aber erarbeiten, denn es gab auch hier weder Vorbilder noch Austauschmöglichkeiten mit Familien, die ähnlich lebten wie sie. Es musste einfach ausprobiert werden, wie die jeweiligen Rollen gut lebbar sind.
Die Kinder wurden schon im Kindergarten für ihre zwei Mütter, die sie jeweils mit Mama (Anne) und Mami (Maren) anreden, beneidet. Ebenso war zu erkennen, dass beide Kinder vor allem im Grundschulalter immer sehr gestärkt aus den Treffen mit ihren Vätern hervorgingen. Die Väter gehören zum Freundeskreis und sind auch außerhalb der großen Überschrift Vater-Kind greifbar. Es gibt manchmal gemeinsame Urlaube, sodass die Zeit etwas intensiviert werden kann. So haben es sich die beiden Mütter gewünscht – dass die Kinder bei Bedarf den Kontakt zu ihren Vätern suchen und die beiden die Beziehung vertiefen können. Für die Weichenstellung ist jedenfalls gesorgt.
Regenbogenfamilien vereint Euch
Die Familie lebt eine authentische Offenheit, was ihren Weg zur Erfüllung des Kinderwunsches angeht, denn sie finden, dass es unbedingt mehr Sichtbarkeit braucht. Interessierte Fragen beantworten die beiden immer gern, aber es gibt auch Grenzen. Wenn z.B. die Frage nach dem Vorgang der Empfängnis allzu weit in die Privatsphäre drängt, hat Anne sich ein diplomatisches „Das erzähle ich Dir vielleicht, wenn wir uns besser kennen“ angewöhnt. Und doch ist die generelle Frage nach der Erfüllung des Kinderwunsches in gleichgeschlechtlichen Beziehungen so wichtig, weil es immer noch eine benachteiligte Situation ist, in der sich lesbische Paare beim Abstammungsrecht befinden.
Ein modernes Abstammungsrecht sollte alle Regenbogenfamilien in ihrer Vielfalt rechtlich anerkennen und absichern! Dafür setzen sich auch Anne und Maren ein. Sie haben die Gründung des Vereins „Lesben Leben Familie e.V.“ mitinitiiert und unterstützen ihn aktiv. Der Verein vertritt die Interessen von lesbischen und queeren Frauen* in unterschiedlichen Lebensphasen in Politik und Gesellschaft und ist aktiver Teil der queeren Community. Neben diverser Veranstaltungen und Info-Abenden findet jeden 4. Dienstag im Monat ein Abend für Austausch und Vernetzung zu den Themen Kinderwunsch, den vielfältigen Möglichkeiten der Familiengründung, Herangehensweisen, Methoden und Unterstützungsangeboten statt. „Das ist wichtig“, sagen Maren und Anne „weil diese Ungewissheiten bei der Familiengründung nur zu unnötigen Irrtümern führt. Familien müssen unterstützt werden und vor allem sollten alle Familien gleich behandelt werden!
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