„Familie ist etwas ganz Besonderes“ sagt Sabine Reisenweber vom Jugendamt

Sabine Reisenweber Jugendamt Potsdam

noosha aubel potsdam beigeordneteWisst ihr eigentlich, wer in der Potsdamer Stadtverwaltung dafür sorgt, dass in den Bereichen Bildung, Kultur, Jugend & Sport alles läuft? Das ist seit August 2017 die Beigeordnete Noosha Aubel und ihr Team aus mehr als 300 Mitarbeitern.

Wir haben die sympathische Powerfrau im September letzten Jahres zum Interview getroffen und von ihr erfahren, was die Stadt besonders familienfreundlich macht, welche Baustellen es gibt und wie sie selbst den Spagat zwischen Familie und Beruf meistert. Zusammen mit ihr möchten wir euch in den Heften dieses Jahres einladen, hinter die Kulissen der Stadtverwaltung im Bereich Familie zu schauen. Erfahrt hier, was die Mitarbeiter für euch leisten und wie ihr die Angebote optimal nutzen könnt.

Den Anfang macht das Jugendamt, speziell der Bereich Regionale Kinder- und Jugendhilfe. Vielleicht geht es euch wie uns früher und ihr denkt beim Wort „Jugendamt“ sofort an die letzte Tatort-Folge und eine grimmige Beamtin, die ein Kind einer verwahrlosten Familie aus den Armen reißt? Wir zeigen euch in unserem Interview mit der Bereichsleiterin der Kinder- und Jugendhilfe, Sabine Reisenweber, dass „Jugendamt“ viel mehr als ein Drohwort ist und ihr euch hier verständnisvolle Hilfe holen könnt für Erziehungsprobleme, Scheidungsfälle und noch viel mehr.

POLA: Liebe Frau Reisenweber, bitte stellen Sie sich kurz vor.

Sabine Reisenweber: Ich bin 56 Jahre alt, bin verheiratet, habe drei erwachsene Kinder und ein dreijähriges Enkelkind. Ich arbeite seit 29 Jahren im Jugendamt, konkret im Bereich der Regionalen Kinder- und Jugendhilfe, auch Allgemeiner Sozialer Dienst genannt.

Wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen?

Schon mit 16 wollte ich Verantwortung für andere übernehmen und habe angefangen, mich zu engagieren. Ich habe dann in der DDR Sozialfürsorge studiert und es hat sich gezeigt, dass das genau meins ist. Ich habe hier verschiedene Bereiche durchlaufen, wie die Altenhilfe oder Behindertenhilfe und dann kinderreiche Familien betreut – als kinderreich galt man in der DDR ab drei Kindern.

Dann kam das neue vereinte Deutschland und neue Gesetze und ich habe dann nochmals studiert und weiterhin in der Stadtverwaltung Potsdam gearbeitet. Später habe ich das Jugendamt in Potsdam mit aufgebaut. Wie das so ist, fängt man an der Basis an und macht Fallarbeit, heute leite ich den Bereich mit 46 Mitarbeitern. Ich bin in meinem Job sehr glücklich, das wollte ich immer machen und es ist total abwechslungsreich.

Welche Aufgaben hat Ihre Behörde?

Da muss man gut und sensibel gucken.

Die Palette ist breit, was wir hier anbieten. Zum einen beraten wir viele Familien rund um das Zusammenleben. Hier gibt es immer wieder Situationen, die schwierig sind und wo die Eltern sich nicht in der Lage sehen, richtig auf das Kind einzuwirken und uns um Unterstützung bitten. Dazu gehören auch Themen wie Trennung und Scheidung.

Das nächste ist die Gewährleistung von Kinderschutz, hier haben wir ein sogenanntes „staatliches Wächteramt“. Wenn in der Kita, Schule oder dem Umfeld wahrgenommen wird, dass das Kindeswohl möglicherweise gefährdet ist, überprüfen wir das und leiten eventuell Maßnahmen ein. Da muss man gut und sensibel gucken.

Mit der Flüchtlingswelle 2015 haben wir Stellen für die Betreuung von UMA, Unbegleiteten Minderjährigen Ausländern, geschaffen, also Kindern, die ohne Eltern nach Deutschland gekommen sind. Diese Zahlen gehen zurück und die Einrichtungen verfolgen nun ein Integrationskonzept und betreuen deutsche und ausländische Jugendliche.

Dazu kommt die Jugendgerichtshilfe, welche straffällig gewordene Jugendliche im Strafverfahren betreut, und natürlich die offene Kinder- und Jugendarbeit. Hier entwickeln wir zusammen mit den freien Trägern Freizeitangebote in 18 Kinder- und Jugendclubs.
Wir haben auch Beratungsangebote und Kurse für Fachkräfte zum Beispiel in Kitas. Wenn Verhalten bei Kindern anders ist, als man als „normal“ einschätzt, dann brauchen Erzieher auch gute Schulungen.

Können Sie für unsere Leser auf das Thema Familienberatung noch etwas näher eingehen? Was sind typische Situationen, in denen sich die Eltern an Sie wenden?

Für uns steht immer das Kind im Mittelpunkt.

Häufig ist es zum Beispiel das Verhalten im Jugendalter, das Eltern an Grenzen bringt, weil man sich in der Erziehung ganz neu ausrichten muss. Die Eltern müssen lernen, loszulassen, aber trotzdem noch Regeln aufzustellen. Junge Menschen müssen Sicherheit haben, aber auch selbst eigene Erfahrungen sammeln können. Hier gibt es oft Schwierigkeiten, damit zurecht zu kommen. Da sind oft beide Seiten verzweifelt und dann ist die Drohgebärde „Jetzt gehen wir zum Jugendamt!“. Hier können wir vermitteln und beraten.

Eine weitere besondere Situation, die einen großen Raum bei uns einnimmt, sind Trennung und Scheidung. Hier müssen sich die Eltern neu aufstellen und die Dinge neu regeln. Es müssen verschiedene Entscheidungen getroffen werden, wie oft zum Beispiel jede Seite zukünftig das Kind sieht. Hier gibt es die unterschiedlichsten Modelle, wo wir beratend helfen. Für uns steht dabei immer das Kind im Mittelpunkt.

Auch Schulverweigerung ist immer wieder ein Thema. Hierfür haben wir in Potsdam mit der OASE auf Hermannswerder eine wunderbare Lösung geschaffen. An einem neuen Ort können die Jugendlichen hier ab der 7. Klasse zur Schule gehen, um sich in kleinen Gruppen mit Sozialarbeitern und Lehrern doch noch auf einen Schulabschluss vorzubereiten oder den Schritt in die Arbeitswelt zu schaffen. Der erste Hinweis auf sogenanntes „schuldistanziertes Verhalten“ kommt übrigens meist aus der Schule selbst, die Eltern bekommen hier nicht immer alles mit. Hier wird dann direkt mit dem Träger Kontakt aufgenommen und wir sind nur noch mittelbar im Hintergrund tätig, dadurch geht es auch viel schneller, den Schülern zu helfen.

Ein guter Punkt. Der Gang zum Jugendamt fällt sicher vielen Menschen schwer.

Die Schwelle zum Jugendamt muss keiner mehr nehmen.

Potsdam verfügt über ein breites Angebot in freier Trägerschaft. Hier kann man schnelle Hilfe erhalten und auch anonym ins Gespräch kommen. Die Schwelle zum Jugendamt muss keiner mehr nehmen. Wir haben zum Beispiel fünf Familien- und Beratungsstellen mit Budget für kurz- und mittelfristige Hilfe, die laufen auch ohne uns. Außerdem können sich Eltern Rat und Unterstützung in den Familienzentren holen (siehe Auflistung unten, Anmerkung der Redaktion). Ab der Geburt des Kindes stehen wir den Familien überall zur Seite.

Gibt es eigentlich besondere Trends, also Probleme, die sich in den letzten Jahren verstärkt haben?

In Potsdam gibt es viele gut betuchte Familien, wo die Eltern eine Karriere verfolgen und teilweise weite Arbeitswege haben. Sie denken oft zu früh, dass das Kind schon alles kann. Es reicht nicht aus, wenn man nur Geld hinlegt und sich um nichts kümmert. Man verliert den Kontakt und plötzlich wird es schwierig für eine der beiden Seiten. Geld allein reicht nicht aus, die Kinder auf den Weg zu bringen, nicht die Schule abzubrechen, falsche Freunde zu finden oder Drogen zu nehmen.

Was uns auch auffällt, sind die hochstrittigen Scheidungsfälle bei diesen bessergestellten Familien, wo das Kind oft hinten runter fällt. Hier geht es leider bei den Gesprächen mit uns oft gar nicht darum, sich beraten zu lassen, sondern darum, Recht zu bekommen. Die Eltern kämpfen dann um sich selbst und es geht nicht mehr um das Kindeswohl. Hier folgen teilweise lange Gerichtsprozesse, die Jahre dauern und das Kind ist permanent in der strittigen Situation.

Das ist teilweise sicher schwer und aufwühlend. Nehmen Sie Ihre Arbeit gedanklich mit „nach Hause“?

Ja, man nimmt immer mal etwas mit nach Hause. Den Job kann man nur machen, wenn das eigene Zuhause stimmt. Mein Zuhause war und ist für mich eine sichere Basis, wo ich mich hinbegebe und abschalten kann. Ich habe immer 40 Stunden gearbeitet, das wurde früher gar nicht hinterfragt. Heute gibt es einen anderen Blick auf Vereinbarkeit Familie und Beruf, wir hatten damals gar nicht das Selbstbewusstsein auch andere Arbeitsmodelle zu vereinbaren. Aber die wenige Zeit, die wir hatten, haben wir sehr intensiv verbracht und zum Beispiel tolle Reisen gemacht, das bildet. Meine Kinder sagen heute „Ja Mama, es war alles da!“.

Basierend auf Ihrem eigenen Leben und Ihrer jahrelangen Arbeit mit Familien – haben Sie Tipps, wie es im Familienleben gut klappt?

Das Zusammenleben verschiedener Menschen funktioniert nur unter einer gewissen Kompromissbereitschaft – beharren Sie nicht immer auf Ihrem Recht! Das Zusammenleben verändert sich ständig, da man sich selbst verändert und die Kinder sich permanent verändern. Hier darf man nicht stehenbleiben, sondern muss nach vorn schauen!

Beim Übergang zum Erwachsenwerden ist für die Jugendlichen wie erwähnt ein gutes Verhältnis von Nähe und Distanz wichtig. Die Eltern müssen loslassen, aber auch ein 15jähriger möchte noch gehalten werden und sich anlehnen! Hier muss man vielleicht seine Sprache an das Alter des Kindes anpassen oder bei einer Beleidigung auch mal drüber stehen.

Bei Familie sollte man nicht nur als Vater-Mutter-Kind denken, Familie ist viel mehr. Denken Sie auch generationsübergreifend und sehen Sie die Großeltern als Bereicherung und integrieren Sie sie. Es ist schade, dass immer mehr alte Menschen vereinsamen. Und auch hier muss man dann wieder Kompromisse eingehen.

Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe oder Rat brauchen, kommen Sie gern frühzeitig auf uns oder die Beratungsstellen zu. Einfach anrufen oder eine E-Mail schicken.

Liebe Frau Reisenweber, wir danken Ihnen für das Gespräch!

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Kontakt zur Regionalen Kinder- und Jugendhilfe in Potsdam

Die Kinder- und Jugendhilfe Potsdam hat drei Außenstellen, wo ihr abhängig von eurem Wohnort vorbeischauen könnt oder diese per Mail kontaktieren.

Zentrale Telefonnummer Sekretariat: 0331 289-2281

Die Öffnungszeiten sind überall gleich:
Di 13-18 Uhr / Do 9-12 Uhr

Regionalstelle 1

verantwortlich für den Potsdamer Norden, Berliner Vorstadt, Innenstadt, Potsdam West & Umland
Adresse: Am Palais Lichtenau 3/5 / 14469 Potsdam
Mail: regionalteam-1@rathaus.potsdam.de

Regionalstelle 2

verantwortlich für Am Stern, Drewitz, Kirchsteigfeld, Potsdam Babelsberg, Zentrum Ost
Adresse: Galileistraße 37-39 / 14480 Potsdam
Mail: regionalteam-2@rathaus.potsdam.de

Regionalstelle 3

verantwortlich für Schlaatz, Waldstadt, Templiner Vorstadt / Hermannswerder
Adresse: Horstweg 96 / 14478 Potsdam
Mail: regionalteam-3@rathaus.potsdam.de

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Beratungsstellen und Familienzentren in Potsdam

Familienzentren in Potsdam

Jugendkultur- und Familienzentrum Lindenpark (Potsdam Babelsberg)
z.B. Kultur- und Freizeitangebote, Feriencamps
Stahnsdorfer Straße 76/78 / 14482 Potsdam
0331-7479712 / familie.lindenpark@stiftung-spi.de
lindenpark.de

Familienzentrum und Mehrgenerationenhaus Treffpunkt Freizeit (Am Neuen Garten)
z.B. Freizeitkurse und Ferienangebote, Hilfe, Unterstützungs- und Beratungsangebote
Am Neuen Garten 64 / 14469 Potsdam
0331-5058600 / info@treffpunktfreizeit.de
treffpunktfreizeit.de

EJF Familienzentrum (Schlaatz)
z.B. vielfältige Eltern-Kind-Angebote
Bisamkiez 26, 14478 Potsdam
0331-8171263 / familienzentrum.potsdam@ejf.de
ejf.de

AWO Eltern-Kind-Zentrum (Am Stern)
z.B. Eltern-Kind-Angebote, Beratung, Nachhilfe
Röhrenstraße 4 / 14480 Potsdam
0331-6008773 / ekiz@awo-potsdam.de
awo-potsdam.de

Familienzentrum an der FH Potsdam (Jägervorstadt)
z.B. anonyme Beratung, spezialisiert auf die ersten drei Lebensjahre
Kiepenheuerallee 5, Haus 5 / 14469 Potsdam
0331-2700574 / kontakt@familienzentrum-potsdam.de
familienzentrum-potsdam.de

Erziehungs-und Familienberatungsstellen

EJF Beratungshaus Lindenstraße Potsdam
Lindenstr. 56 / 14467 Potsdam
Tel. (0331) 280 73-20 oder -16 / beratungshaus.potsdam@ejf.de
ejf.de

EJF Beratungsstelle Lösungsweg Potsdam
Behlertstr. 27 / 14469 Potsdam
Tel. (0331) 620 77 99 / loesungsweg-potsdam@ejf.de
ejf.de

Caritas Erziehungs- und Familienberatung Potsdam
Zimmerstraße 7, 14471 Potsdam
0331 710298 / potsdam.ib@caritas-brandenburg.de
caritas-brandenburg.de

STIBB – Sozial-Therapeutisches Institut Berlin-Brandenburg e.V.
Goethestr. 39 / 14482 Potsdam
0331 – 704 65 00 / info@stibbev.de
stibbev.de

Alle Familien- und Beratungszentren findet ihr auch in unserem Potsdamer Adressverzeichnis.

Lust auf mehr?

Gemeinsam mit euch blicken wir hinter verschiedene Türen des Bereiches Bildung, Kultur, Jugend & Sport der Stadt Potsdam und zeigen euch, was die Mitarbeiter hier Tolles leisten. Bisher erschienen:

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Beigeordnete Noosha Aubel kümmert sich seit drei Jahren gemeinsam mit mehr als 300 Mitarbeitern um viele wichtige Familienthemen in der Stadt Potsdam und hat noch viele Pläne. → zum Interview

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Fotos: © POLA Magazin

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