Googelt man „Urlaub mit Kindern”, erschlägt einen das digitale Klischee der glücklichen Kernfamilie am Traumstrand in unter 0,5 Sekunden. Auf allen Bildern ist super Wetter, die Kinder halten bunte Eistüten in der Hand und die Erwachsenen sehen immer so aus, als wären sie noch nie mit den anstrengenden Facetten des Lebens in Berührung gekommen. Das Feuilleton dagegen überschlägt sich zur Urlaubszeit geradewegs mit Texten über die Unmöglichkeit, sich wegen der permanenten Anwesenheit des quengelnden Nachwuchses auch nur eine Sekunde zu erholen.
Beide Seiten arbeiten sich an einem ebenso idealisierten wie unmöglichen Familienbild ab. Die Mär von der Vereinbarkeit macht auch in den Ferien keine Pause. Erholungsurlaub ist z.B. wesentlich erholsamer, wenn man ohne Kinder in den Urlaub fährt. Manchmal ist der Erholungseffekt sogar noch größer, wenn man auch noch den Partner oder die Partnerin zu Hause lässt. Das ist gleich doppelt erholsam, weil ja jemand da ist, der sich um die daheimgebliebenen Kinder kümmern kann. Win-Win!
Es ist nur eine Phase
Meine Freundin hat sich neulich eine Schwimmweste für ihren Familienurlaub von mir geliehen, den sie dieses Jahr auf einem Segelboot verbringen wollten. Ihr jüngstes Kind ist drei und kann noch nicht schwimmen. Für mich klingt das wie die absolute Urlaubshölle, obwohl ich selbst total gern auf Booten bin. Aber 14 Tage von Wasser umgeben, meinen vierjährigen Nichtschwimmer zu hüten, der wie ein Labradorwelpe auf Energy-Drink durch den Tag wuselt, ist für mich alles andere als ein Genuss. Für meine Freundin ist das kein Problem, sie liebt Bootsurlaube und die ständige Action an Bord. Dafür hasst sie Restaurantbesuche mit Kindern. Sie weigert sich, Geld auszugeben, um dann genau wie zu Hause das Geschrei zu ertragen, weil die Kinder sich den Ketchup nicht in die Apfelschorle drücken dürfen. Sie hätte gern, dass die „Wir müssen leider draußen bleiben“-Schilder auch für Gäste unter 12 gelten. „Ich hasse das Generve, ich will kinderfreie Zone, wenn ich schick außer Haus esse!“, sagt sie.
Ich dagegen will nicht jedes Mal einen Babysitter brauchen, nur weil ich Bock auf Pizza habe. Also kommt der Junge mit ins Restaurant und lernt dort, wie man sich angemessen verhält. Ich gebe zu, die ersten vier Jahre liefen wir als Gäste mehr als einmal Gefahr, dass die Kellner uns in die Suppe spucken. Mein Sohn warf Pommes, verschüttete Getränke und streute den Leuten Parmesan in ihre Taschen. Als er einmal versucht hat, sich die Hosentaschen mit dem Zuckerstreuer aufzufüllen und gar kein Verständnis zeigte für meine Bitte, dies zu unterlassen, musste ich das brüllende Labrador-Energiebündel auch mal unterm Arm nach draußen tragen. Heute ist er ein recht angenehmer Gast und gurgelt nur noch sehr selten mit dem Kirsch-Bananensaft.
Stress sollte man sich nur machen, wenn es sich für einen selbst auch lohnt und nicht, weil es irgendein Ideal vorgibt. Eltern achten ständig auf die Bedürfnisse ihrer Kinder. Da ist es nur legitim, dass man mal alle fünfe gerade sein lässt. Deswegen geht der Eine ohne Kinder italienisch essen und der Andere erholt sich lieber gleich allein auf einem Boot an der italienischen Adria. Wenn man einmal verstanden hat, dass der freie Wille über die idealisierten Bilder im Kopf siegen kann, dann tun sich ganz neue Möglichkeiten auf. Auch andere Eltern können da gute Impulsgeber sein, um dem Leben mit Elternverantwortung ein bisschen mehr Wonne abzutrotzen.
„Ausnahmsweise“ ist die beste Lebensweise
Von unserem Besuch aus Leipzig habe ich neulich sehr interessante Dinge über bedürfnisorientierte Erziehung gelernt. Nämlich, dass die Bedürfnisse der Eltern im Restaurant die Regeln machen und nicht die Erziehungsratgeber. Abends saßen wir mit unseren Freunden und ihren dreijährigen Zwillingen beim Italiener und staunten nicht schlecht, als der Vater als erstes ein Eis für jedes Kind bestellte und die Mutter derweil das Smartphone für einen kleinen Leo Lausemaus-Marathon aufbaute. Demütig dachte ich an all die Momente, in denen mir das in der Öffentlichkeit Smartphone-guckende Kind schlimmer vorkam als ein desaströses Familien-Abendessen, das man zu Hause auch günstiger haben kann. Frieden am Tisch durch Nachtisch zuerst? – Genial!
Regeln sind trotzdem wichtig. Eltern sollten Entscheidungen treffen, die vor allem eine gute Entwicklung fördern, Werte vermitteln und das Kind gesund aufwachsen lassen. Aber vier Wochen Nudeln mit Ketchup zum Abendessen, weil das liebe Kleine alles andere verweigert oder ein paar Stunden mehr Schlaf am Wochenende für erschöpfte Erwachsene mithilfe einer verlässlichen Bewegtbild-Kinderbetreuung ab 6 Uhr morgens sind keine Verbrechen. Sie sind die clevere Einsicht, dass die eigenen Bedürfnisse auch zählen, dass nicht jeder Stress lohnt, und dass Kinder sich auch mal durchsetzen dürfen, weil es eben allen Menschen schlechte Laune macht, wenn sie dauernd fremdbestimmt werden, ganz egal ob von tradierten Idealen oder Erwachsenen, die doch nur unbedingt alles richtig machen wollen.
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