Die Pubertät ist eine spannende und zugleich herausfordernde Lebensphase – nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für uns Eltern. Was in dieser Zeit passiert und wie wir damit umgehen können, erfahrt ihr in unserem Interview mit Carolin Wiehler von der Familienberatungsstelle FaBIO Nord vom Potsdamer Oberlinhaus.
Liebe Frau Wiehler, bei Ihnen in der Familienberatungsstelle geht es oft auch um das Thema Pubertät. Wieso kommt es besonders in dieser Zeit vermehrt zu Problemen zwischen Eltern und ihren Kindern?
Carolin Wiehler: Tatsächlich wenden sich in dieser Phase vermehrt Eltern an uns oder werden beispielsweise von den Schulsozialarbeiter:innen zu uns geschickt. Die Eltern sind oft verunsichert, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Ihre Kinder verhalten sich in der Pubertät plötzlich anders und gehen eher in Konfrontation mit den Eltern. Diese fragen sich dann: Was ist normal, was müssen wir aushalten, was ist alarmierend? Und auch die Kinder sind durch die Veränderungen verunsichert. Mangelndes Selbstwertgefühl ist immer ein Thema in der Pubertät. Die Jugendlichen suchen vermehrt nach Anerkennung. Sie möchten dazugehören und erliegen dem Gruppenzwang. Dadurch haben die Eltern wiederum Sorge, dass sie aufgrund dessen in falsche Kreise kommen.
Was passiert in der Pubertät mit den Kindern?
Zum einen sind das körperliche Veränderungen wie etwa durch das Wachstum oder die Entwicklung der Geschlechtsorgane. Dazu kommen massive kognitive Veränderungen im Gehirn, das zu einer Großbaustelle wird, bei der nicht alle Bereiche gleichzeitig fertig entwickelt sind. Das Impulsive ist früher da, das Reagieren auf ein spontanes Gefühl. Es gibt einen starken Forscherdrang und den Wunsch, Neues zu erfahren. Das ist total wichtig fürs Lernen. Das planerische, vorausschauende und logische Denken entwickelt sich vergleichsweise spät. Eltern denken oft: „Die müssen doch mal besser planen!“ – das können sie aber manchmal wirklich nicht! Diese Erkenntnis ist für viele ein Aha-Moment.
Von welcher Zeitspanne reden wir?
Bei den Mädchen kann es bereits ab 10 Jahren mit der körperlichen Entwicklung losgehen, diese kann mit 15/16 schon abgeschlossen sein. Bei den Jungs ist es etwas später. Die Gehirnentwicklung dauert jedoch etwa bis Mitte 20! Der Gedanke „Der ist doch jetzt fertig und aus dem Gröbsten raus” – dieser Schein kann trügen.
Was hat sich die Natur mit der Pubertät überhaupt gedacht?
Sie dient der Ablösung von den Eltern. Die eigene Identität zu finden: Wer bin ich, was will ich eigentlich? Jüngere Kinder finden automatisch alles, was die Eltern machen, richtig. In der Pubertät öffnet sich durch die Abgrenzung vom Elternhaus der Blick nach außen. So entwickelt man sich zu einem eigenständigen Erwachsenen.
Wie helfen Sie den Eltern, ihre Kinder besser zu verstehen?
Die Eltern sind meist unsicher, wie sie ihre Kinder unterstützen und über-haupt erreichen können. Oft gibt es schon einen Negativkreislauf in der Kommunikation, wo sich beide Seiten nur noch angegriffen fühlen. Die Eltern sollten im Alltag darauf achten, mehr zu loben und auch Positives zu sagen und nicht immer nur Kritik zu äußern. Zum Beispiel, dem Kind ein Kompliment ohne ein „Aber” zu machen. Ein schlechtes Beispiel wäre hier: „Du kannst dich doch konzentrieren, warum machst du das nicht in der Schule?” Ein Kompliment ohne „Aber” zeigt Anerkennung: „Toll, dass du dich so fürs Musikinstrument begeisterst.” Die Jugendlichen haben so viele Entwicklungsaufgaben auf einmal – körperliche und kognitive Veränderungen, Leistungsdruck in der Schule, Freundschaften finden… Da ist es gut, sie mit positiven Worten zu stärken.
„Das hast du wunderbar gemacht!”
„Wenn du möchtest, helfe ich dir.”
„Du darfst dir Zeit lassen.”
„Das sieht aber gut aus!”
„Ich stehe zu dir.”
„Finde das für dich raus.”
„Du bist wichtig.”
„Das darfst du ruhig selbst entscheiden.”
„Es ist schön, dass du da bist.”
„Ich bin stolz auf dich.”
Und wenn es aber etwas Schwieriges zu besprechen gibt?
Wenn man eine Vermutung hat, dass das Kind zum Beispiel geraucht hat, sollte man das nicht ignorieren, sondern ansprechen. Auch mal nervig sein und das aushalten. Aber statt zu kritisieren, besser Fragen stellen und ehrliches Interesse zeigen: „Warum hast du mitgemacht und geraucht, hat es dich interessiert…?” oder beim Thema Schule „Was fällt dir denn da so schwer, woran liegt es, dass du dich so schlecht konzentrieren kannst?”
Es kann sein, dass sie Sorgen oder Liebeskummer gar nicht mit den Eltern besprechen wollen, sondern sich eher an Freunde wenden. Die Peer-Group wird immer wichtiger und das Abgrenzen von den Eltern. Hier sollte man ein Signal senden: „Wir haben immer ein offenes Ohr, du musst nicht, aber du kannst alles mit uns besprechen.“
Wann ist der richtige Zeitpunkt, solche Gespräche zu führen?
Am besten die Jugendlichen selbst danach fragen: „Wann können wir denn mal darüber reden?” Wenn sie von der Schule kommen, wollen sie oft erst ihre Ruhe haben. Diese Pause und eine Ankommenszeit gönnen.
Es ist generell wichtig, in Kontakt zu bleiben und immer wieder Angebote zu machen, mit ihnen was zu unternehmen und sich nicht abschrecken zu lassen, wenn sie mal keine Lust haben. Es ist für Jugendliche schön zu hören, dass die Eltern Zeit mit ihnen verbringen wollen. Das muss nichts Großes sein, vielleicht ein Spaziergang, gemeinsam zum Sport gehen oder einfach zusammen Fußball schauen. Oft ergeben sich dann auch eher Gespräche.
Wenn die Pubertät eine Zeit des Ausprobierens ist und ich mein Kind schützen möchte – wie kommt man hier zusammen?
Natürlich sollte man als Eltern auch Grenzen setzen und verhandeln, z.B. zum Thema „Wie lange darf ich heute Abend wegbleiben?” Wichtig ist hier, auf Augenhöhe ins Gespräch zu kommen. Zu fragen: „Was wäre für dich realistisch, was stellst du dir vor?” Da fordern die Jugendlichen meist gar nicht so viel, als wenn sie das Gefühl haben, sie müssen auf Verteidigung gehen. Wenn sie sich ernst genommen fühlen, ist es oft einfacher.
Für viele Eltern ist die Mediennutzung ihrer Kinder ein großes Thema.
Hier fällt es oft schwer, die Kinder zu verstehen, aber es ist einfach eine andere Zeit als früher. Bei den Nutzungszeiten ist es leichter, eine medienfreie Zeit vorzugeben, etwa zu bestimmten Tageszeiten, zu den Essenszeiten oder vor dem Schlafen, denn das blaue Licht verhindert die Melatonin-Ausschüttung und damit besseres Schlafen. Es ist sehr wichtig, Vorbild zu sein und sich als Erwachsene selbst zu reflektieren und wie man mit den Medien unterwegs ist, auch der Fernseher ist ein Medium! Auch uns haben die Handys oft im Griff. Sie sollten in der medienfreien Zeit nicht in der Nähe sein, sonst wird immer danach gegriffen. Das sollte man besprechen und eine gemeinsame Regel erarbeiten, zum Beispiel dass das Handy nachts nicht im Zimmer verbleibt.
Auch für uns Eltern bedeutet die Zeit der Pubertät eine große Veränderung.
Ja, man muss auch das eigene Leben umstellen. Die Jugendlichen wollen z.B. weniger Zeit mit den Eltern verbringen. Oder plötzlich bleiben sie länger wach und man muss wieder neue Zeit für sich alleine oder mit dem Partner finden. Das Loslassen ist ein großes Thema. Auszuhalten, dass man nicht mehr alles mitkriegt und weiß. Es wird passieren, dass sie was ausprobieren, die erste Zigarette, was trinken. Viele Eltern machen sich Sorgen um die großen, schlimmen Drogen, Einstiegsdrogen sind aber klar Alkohol und Rauchen, das sollte man nicht unterschätzen. Probieren und Experimentieren gehören zur Pubertät dazu. Wenn es zu etwas Regelmäßigem wird, geht es in Richtung Sucht. Das Wichtigste ist auch hier immer, in Kontakt zu bleiben und die Kinder zu stärken. So dass sie klar sagen, wenn sie was nicht wollen. Das ist wichtiger, als über jede Substanz genau Bescheid zu wissen. Selbstbewusstsein ist auch hier der Schlüssel, um sich selbst zu schützen und von einer Gruppe nicht überreden zu lassen. Sagen zu können: „Nein, ich gehe jetzt lieber nach Hause.”
Haben Sie noch einen abschließenden Tipp für uns Eltern?
Es ist ganz wichtig, mal durchzuatmen, ruhig zu bleiben und manches auch mit Humor zu sehen. Sich klar zu machen: Die Zeit vergeht auch wieder. Es kann schwierig sein, wenn man mittendrin ist, aber es ist nur eine Phase. Man kann manchmal wirklich gar nichts machen, außer es auszuhalten, loszulassen und den Jugendlichen zu vertrauen, dass sie ihren Weg finden werden. Und in den allermeisten Fällen finden sie auch ihren Weg, auch wenn es sich in dieser Zeit machtlos anfühlt. Gut ist es, sich mit anderen Eltern zu unterhalten und auszutauschen. Dann merkt man: Es geht den meisten Eltern so mit ähnlichen Ängsten und Sorgen. Das ist entlastend.
Und Sie stehen mit Ihrer Beratung auch zur Seite.
Alle Familien aus Potsdam können sich an uns wenden, die Eltern allein, mit den Jugendlichen zusammen oder auch die Jugendlichen allein und anonym, ohne dass die Eltern informiert werden. Es gibt kurzfristige Termine bei uns, die per Mail, Telefon oder über das Online-Formular gebucht werden können, ganz unkompliziert, eine Antragstellung ist nicht notwendig. Die Beratung bei uns ist kostenfrei und von der Stadt finanziert.
Und so wird es hoffentlich noch lange bleiben. Liebe Frau Wiehler, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
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