Die meisten von uns haben ihre Schwangerschaft wahrscheinlich erfreulich erlebt und auch die Zeit mit dem Baby gut gemeistert – abgesehen von den mehr oder weniger normalen und kurzen Momenten der Unsicherheit und Verzweiflung. Aber was, wenn die Probleme sich häufen, einen die Situation komplett überfordert und man nicht mehr weiter weiß? Dann gibt es in Potsdam die “Frühen Hilfen”. Wir haben Ansprechpartnerin Mara Dittrich zum Interview getroffen.
Fachkräfte Frühe Hilfen der Landeshauptstadt Potsdam
Liebe Frau Dittrich, was ist Ihre Aufgabe und seit wann sind Sie hier tätig?
Mara Dittrich: Ich berate Familien und werdende Eltern auf der Suche nach Hilfe und vermittle unterstützende Fachkräfte für die Zeit von der Schwangerschaft bis zum 3. Geburtstag des Kindes, welche die Familien begleiten. Ich koordiniere das gesamte Angebot der Familienhebammen und Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegenden inklusive Öffentlichkeitsarbeit, Internetauftritt, Konzeption und Berichten. Für die Frühen Hilfen arbeite ich seit 2017, ursprünglich bin ich studierte Sozialarbeiterin. Das Angebot selbst gibt es in Potsdam bereits seit 2014, also seit 10 Jahren.
Für wen ist das Angebot gedacht?
Es sind grundsätzlich Fälle, wo der Start in die Elternschaft nicht optimal läuft. Das kann eine superjunge Mutter sein oder eine, die sehr spät erst von der Schwangerschaft erfahren hat. Eine Alleinerziehende, die sich wirklich auch alleine fühlt und keine Unterstützung hat. Frauen, die nicht wissen, wie und wohin, die total verunsichert und überfordert sind. Familien mit Migrationshintergrund mit Sprachbarrieren und einem anderen kulturellen Hintergrund. Aber auch Frühchen-Familien oder Familien mit einem Baby, das sehr viel schreit und sich nur schwer beruhigen lässt. Chronische Erkrankungen und Beeinträchtigungen können ein Thema sein. Eltern, die unfassbar viele eigene Sorgen haben und es schwer haben, in ihre Elternrolle zu finden. Die psychische Probleme haben oder eigene traumatische Erfahrungen in der Kindheit machen mussten. Hier muss man agieren, damit sich Probleme nicht manifestieren.
Wir beraten aufsuchend und längerfristig, d.h. eine Familienhebamme oder eine Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegende besucht die Familien zu Hause. Das kann schon in der Schwangerschaft starten und endet spätestens mit dem 3. Geburtstag des Kindes. Die Hilfe ist für die Familien vertraulich und kostenfrei und wird aktuell zu einem Teil von der Bundesstiftung Frühe Hilfen finanziert und zum größeren Teil kommunal getragen, d.h. von der Stadt Potsdam.
Hebamme und Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin klingt erstmal sehr medizinisch.
Beide Bezeichnungen sind meines Erachtens irreführend. Sie sind in ihrer Grundprofession zertifizierte Hebammen und Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin (vormals: Kinder-krankenschwester), die jedoch zusätzlich eine umfangreiche Zusatzqualifikation im Rahmen der Frühen Hilfen erworben haben. Es geht hier also nicht um die originäre Arbeit, sondern um eine psychosoziale Begleitung vor der Schwangerschaft und bis zum 3. Geburtstag. Der Fokus liegt auf dem Kind im System Familie, seinem gesunden Aufwachsen und seiner guten Entwicklung. Darum, Problemlagen und Schwierigkeiten zu erkennen und gegenzusteuern.
Wie genau wird dann geholfen?
Wir schauen: Was brauchen die Familien? Das ist sehr verschieden und kann zu Beginn der Begleitung ein Besuch in der Woche sein und später eher alle 2-3 Wochen oder auch mal nur ein Telefonat. Manchmal ist es die Begleitung bei einem Arztbesuch oder zum ersten Termin einer Krabbelgruppe. Es betrifft natürlich auch ganz basale Themen, wie Entwicklungsfragen zum Kind und rund um seine Gesundheit. Wir schauen, ob der Haushalt unfallsicher ist. Beraten beim Thema Stillen oder der Beikosteinführung, beim Zahnen oder in der Autonomiephase. Wir helfen, weitere passende Unterstützungen zu finden. Spontan fällt mir hier die Mütterpflege ein. Da geht es um den Abbau von Barrieren und Motivation.
Einige Mütter und Väter haben aus ganz unterschiedlichen Gründen Schwierigkeiten, ihr Kind und die Bedürfnisse ihres Kindes gut wahrzunehmen. Wir bestärken Eltern in ihren Stärken und dabei, Kompetenzen aufzubauen und arbeiten auch mit Videofeedbacktraining, bei dem die Eltern die Interaktion zwischen sich und ihrem Baby sehen und nochmal besser verstehen können. Das ist super hilfreich.
Es kann auch die total erschöpfte Mutter sein, deren Kind exzessiv schreit und die selbst kaum noch schläft und keine Kraftreserven mehr hat. Da schauen wir zum Beispiel, welche Ressourcen es im sozialen Umfeld gibt, um die Mutter zu entlasten, welches Netzwerk genutzt werden kann.
Unsere Arbeit ist ganz unterschiedlich arbeitsintensiv, manche Familien brauchen nur ab und zu einen Rat, mit anderen Familien wird sehr intensiv gearbeitet und durch die ein oder andere Krise begleitet.
Wie finden die Familien zu Ihnen?
Die meisten Anfragen kommen über eine Schwangerschaftsberatungsstelle, welche die Familien an mich verweisen. Auch erhalten wir Anfragen über die sozialmedizinische Kindernachsorge, die Frühberatung oder beispielsweise das Netzwerk Gesunde Kinder. Teilweise erhalten die Familien den Kontakt aber auch über ihre Hebamme oder eine andere Mutter und melden sich dann direkt bei mir.
Nach einem ersten Telefonat vereinbare ich mit den Familien einen Ersthausbesuch. Das persönliche Gespräch hilft, den Bedarf festzustellen und was wir davon leisten können. Selten gibt es ein einzelnes Problem, meist ploppen weitere Problemfelder auf. Ich koordiniere dann und vermittle. Entweder an eine unserer Fachkräfte oder an weitere Anlaufstellen, wenn unser Angebot nicht passt.
Wie viele Familien betreuen Sie aktuell?
Es sind über das Jahr verteilt ungefähr 60 Familien, die wir gleichzeitig betreuen. Pro Jahr kommen im Schnitt 35 neue Familien dazu, andere hören auf, weil z.B. das Kind älter als drei Jahre ist. Damit sind wir aktuell gut ausgelastet und Anfrage und Angebot ausgeglichen. Neben mir als Koordinatorin arbeiten jeweils drei Familienhebammen und drei Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen für das Angebot. Diese sind nicht fest angestellt, sondern arbeiten frei auf Honorarbasis.
Wenn Sie rund um Ihre Arbeit drei Wünsche frei hätten, welche wären das?
Potsdam braucht mehr ehrenamtliches Engagement für unsere jungen Familien! Angebote wie die „Wunschgroßeltern“ oder „wellcome“ und „Stadtteilmütter“ in Berlin, die Familien im Alltag unterstützen.
Dann fände ich für Potsdam sogenannte “Babylotsen” toll, die es in anderen Städten teilweise schon gibt. Diese treten schon ganz frühzeitig auf den Geburtsstationen mit den Familien in Kommunikation und beraten.
Und als Drittes wünsche ich mir, dass mehr Mütter und Familien sich trauen, nach Hilfe zu fragen. Heute versucht man oft, nach außen den Schein zu wahren und trägt Konflikte im Inneren aus. Es ist okay, auch mal nicht klar zu kommen und bei Überforderung oder Verunsicherung nach Hilfe zu fragen.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Wir danken für das Interview und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit!
Unter potsdam.de/familienhebammen findet ihr weitere Informationen.
Foto: Florian Bäumler
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