Mareice Kaiser, Jahrgang 1981, arbeitet als Journalistin. Sie schreibt Kolumnen, Bücher und Tweets über Themen wie Inklusion, Bildung, Familie und Politik – hochaktuell, klug und leicht zugänglich.
Im Oktober 2022 ist ihr neues Buch „Wie viel. Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht“ (Partnerlink*) erschienen. Darin erzählt Mareice ihre eigene Geldgeschichte und trifft Menschen, mit denen sie über Geld spricht. Wie viel Geld ist genug? Wie viel Geld macht glücklich? Wer sollte mehr Geld haben, wer weniger und vor allem, wie könnte Geld gerechter verteilt sein?
In unserem Gespräch hat mir Mareice verraten, welche Begegnungen ihr am meisten in Erinnerung geblieben sind und ob sich ihr persönliches Geldgefühl durch das Buch verändert hat.
Liebe Mareice, dein letztes Buch war vergangenes Jahr für mehrere Wochen in der Bestsellerliste. In„ Das Unwohlsein der modernen Mutter“ geht es um das unerreichbare Mutterideal und im Zuge dessen auch um Arbeit und Geld. Letzterem widmest du nun ein eigenes Buch. Warum war es dir so wichtig, über Geld zu schreiben?
Ich habe festgestellt, dass ich ziemlich viele Gefühle habe, wenn ich an Geld denke. Und dass es nicht nur mir so geht. Dem wollte ich auf den Grund gehen, denn als Autorin weiß ich: Wenn ich viel fühle, dann steckt meistens etwas dahinter.
Bei mir Zuhause hieß es früher immer „Über Geld spricht man nicht.“ Gleiches galt übrigens auch für Religion und Politik und als Frau ja sowieso. War es schwer, Leute zu finden, die mit dir über ihr Geld sprechen wollten?
Nein. Das liegt aber vor allem daran, dass ich mit den meisten Menschen schon lange Kontakt hatte. Ich habe sie also nicht auf der Straße angesprochen und gesagt: Hej, wie viel Geld ist auf Deinem Konto? Sondern es waren Menschen, die mich schon länger kannten und mir deshalb vertraut haben. Dafür bin ich sehr dankbar.
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Du beginnst mit deinen eigenen Geldgefühlen, erzählst von deiner Sozialisierung als Kind körperlich hart arbeitender Menschen und von Geld, das oft fehlte. Etwa für ein Studium. Wie schwer ist es dir gefallen, so offen darüber zu reden?
Gar nicht so schwer. Ich wusste: Entweder mache ich es ganz oder gar nicht. Nur oberflächlich über Geld zu sprechen, das bringt nichts. Oder es bringt nur Menschen mit viel Geld etwas. Also war mir klar, ich muss den Anfang machen.
Gibt es Geldfragen, die du nicht beantworten würdest, weil sie dir zu privat wären?
Ich beantworte Dir jede Geldfrage, die Du mir auch beantworten würdest. Generell gilt: Es ist leichter, bei Geld ehrlich zu sein, wenn wir die dahinterliegenden Strukturen sehen. Aktuell wird gesellschaftlich suggeriert, dass wir selbst dafür verantwortlich seien, wie viel Geld wir haben. Das stimmt aber nicht. Vermögen hängt mehrheitlich davon ab, in was für eine Familie wir geboren worden sind. Also reines Glück. Leben wir mit einer Behinderung? Sind unserer Eltern Arbeiter*innen oder Akademiker*innen? Sind wir von Rassismus betroffen oder nicht? All das sind Merkmale, von denen unser Geld abhängt. Wenn wir das im Kopf haben, können wir doch auch offen und ehrlich antworten.
Du triffst dich mit acht unterschiedlichen Menschen, u.a. mit einem Rentner, der seit 15 Jahren Flaschen sammelt, mit einer Haushaltshilfe, einer reichen Erbin, einem Essenslieferanten und einem Selfmade-Millionär. Welche Begegnung ist dir am stärken in Erinnerung?
Wirklich jede Begegnung hat etwas mit mir gemacht. Stark in meiner gefühlten Erinnerung sind zwei Gespräche, die ich sehr nah hintereinander geführt habe. An dem einen Tag der Rentner aus meiner Nachbarschaft, der sich abends das Bett warm fönt, weil seine Heizung kaputt ist. Am nächsten Tag ein Besuch beim Selfmade-Millionär im Eigenheim mit Fußbodenheizung.
Noch so ein geflügelter Satz: „Zeit ist Geld.“ Mir ist Zeit tatsächlich wichtiger und ich feiere Überstunden lieber ab als dass ich sie mir auszahlen lasse. Das muss man sich aber auch leisten können und ganz offensichtlich ist die Zeit verschiedener Menschen unterschiedlich viel wert. Weißt du, wie viel deine Zeit wert ist und woran machst du das fest?
Mit Geld kaufen wir uns Zeit. Und dann ist ja nochmal die Frage, wie wir die Zeit verbringen. Sehr viele Menschen haben gar keine Wahl, wie sie ihre Zeit verbringen. Freizeit zum Beispiel muss man sich leisten können. Ich bin heute Taxi gefahren und der Taxifahrer erzählte mir, dass er viele Jahre 70 bis 80 Stunden pro Woche gefahren sei, um seiner Familie etwas zu bieten.
In vielen Arbeitsverträgen findet sich noch heute ein Klausel, die verbietet, über das Gehalt zu sprechen. Eigentlich ein Unding, oder? Auch im Hinblick auf den Gender Pay Gap.
Ja, definitiv. Nicht über Geld zu sprechen nützt nur den Menschen, die viel davon haben.
Neulich erzählte mir eine Freundin von einem Tweet, der das Vermögen von Elon Musk veranschaulichte: „Stell dir vor, es ist 80.000 v. C., du bist unsterblich und beschließt, JEDEN TAG 10.000 Dollar zu sparen. 82.021 Jahre später ist 2021 und du hast immer noch nicht so viel Geld wie Elon Musk.“ Mich überfordert alleine die Vorstellung. Wie geht es dir mit dem Wissen, dass einzelne Menschen so viel Geld besitzen?
Na ja, ich habe dieses Buch geschrieben und spreche weiterhin darüber. (lacht) Damit sich etwas ändert.
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Der Tweet endet mit „TAX THE RICH!“, also dem Aufruf, die Reichen zu besteuern. Welche Wege gibt es noch, um dieses krasse Geld- und damit immer auch Machtgefälle zumindest ansatzweise zu korrigieren?
Es muss ganz dringend um politische Veränderungen gehen. Gleichzeitig ist Solidarität aber auch im Kleinen möglich. Wir könnten zum Beispiel die ersten in einem Unternehmen sein, die offen über Geld sprechen. Oder wenn wir viel Geld haben, Freund*innen die Geld brauchen, leihen oder schenken. Umverteilung geht auch in klein – wobei wir natürlich nie vergessen dürfen, dass die Politik die Rahmenbedingungen dafür schaffen muss.
Mein Mann und ich kommen, wie du, aus Arbeiter*innen-Familien und waren die ersten, die studiert haben. Dass unser Kind heute in einem Akademiker*innen-Haushalt aufwächst, fühlt sich für mich immer noch schräg an und Geld ist mir oft peinlich. Gab es für dich irgendwann den Punkt, an dem du das Gefühl hattest, „es geschafft“ zu haben und wie war das für dich?
Ich wüsste nicht, was dieses schaffen sein sollte. Ich habe irgendwie schon immer viel geschafft, zum Beispiel auf eigenen wackligen finanziellen Beinen stehen, seitdem ich 18 bin. Ich weiß natürlich, worauf Du anspielst. Nach außen hin sind es zum Beispiel Positionen, wie die einer Chefredakteurin. Ja, sowas habe ich geschafft. Mir selbst sind aber ganz andere Dinge viel wichtiger. Wann habe ich endlich wieder Zeit, Musik in einer eigenen Band zu machen? Wann tanze ich wieder regelmäßig? Wenn ich das schaffe, dann mach ich ne Party.
Hat sich dein Geldgefühl durch die Arbeit an dem Buch verändert?
Tatsächlich ja. Ich habe die Strukturen hinter Geld noch mehr verstanden. Ich finde die Geldverteilung in einem reichen Land wie Deutschland skandalös. Dass jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut betroffen ist, ist ein Skandal. Ich selbst versuche, privat umzuverteilen – wenn wir schon auf die politische Umverteilung so lange warten müssen. Ich wollte nie Geld haben, weil ich auch nicht so wirklich wusste, wofür – also eben bis auf die Basics zum Leben. Viel Geld wollte ich nie haben. Bis ich dann mal einer Freundin Geld schenken konnte, als sie es gerade brauchte. Durch das Buch habe ich also einen Grund gefunden, Geld anzunehmen: Um es selbst im Kleinen umzuverteilen.
Ganz lieben Dank für das spannende Gespräch!
Foto: Oğuz Yılmaz
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