“Wir gehen diesen Weg gemeinsam!” Interview mit Julia von der Kinderhilfe Potsdam e.V.

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Gesundheit für uns und unsere Kinder steht für die meisten von uns ganz oben auf der Wunschliste. Aber niemand ist gegen den Tod gefeit, manchmal kommt er viel zu früh. Die Kinderhilfe Potsdam e.V. berät und begleitet Familien mit schwerstkranken oder verstorbenen Familienmitgliedern. Wir haben für euch mit Julia Lindner gesprochen, die das Team seit einigen Jahren unterstützt. Erfahrt hier mehr über ihre wichtige Arbeit und wie ihr selbst helfen oder die Hilfsangebote nutzen könnt.

Trauergruppen für Kinder und mehr: Die Arbeit der Kinderhilfe Potsdam

Liebe Julia, wie bist du zur Kinderhilfe gekommen?

Julia Lindner: Ich habe vor fünf Jahren bei der Kinderhilfe angefangen, damals wurden über Facebook Ehrenamtliche gesucht, die sich zum Trauerbegleiter ausbilden lassen wollten. Ich habe danach in der neu gegründeten Kindertrauergruppe mitgearbeitet und bin dann in die Jugendtrauergruppe gewechselt und habe direkt auch zwei Jungen betreut, deren Vater gestorben war. Ich habe diese Arbeit so gern gemacht, dass ich parallel zu meinem eigentlichen Job anfing, Soziale Arbeit zu studieren. Seit Januar bin ich fest bei der Kinderhilfe angestellt.

Respekt. So ein Ehrenamt ist keine gewöhnliche, lustige Freizeitbeschäftigung. Wie kam es gerade dazu?

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Der Aufruf hat mich aufgrund meiner persönlichen Lebenserfahrungen sofort angesprochen. Wir haben ein Sternchenkind in der Familie und ich selbst bekam eine Brustkrebs-Diagnose, als meine beiden Kinder noch klein waren. Da setzt man sich mit der Frage “Was passiert, wenn ich diese Welt zu früh verlassen muss?” ganz anders auseinander.

Ist Trauerbegleitung nicht unfassbar schwer?

Es klingt komisch, aber die Arbeit bereitet mir große Freude. Es ist unglaublich befriedigend, gerade Kindern und Jugendlichen zu helfen und sie zu unterstützen, mit diesen Gefühlen umzugehen, ihnen eine Sicherheit zu geben. Ihnen zu vermitteln: Alles, was passiert, ist normal. Ich helfe dir, ich halte deine Hand, ich geh mit dir zum Grab. Und ganz wichtig: Es gibt andere, denen es genauso geht wie dir! Zu erleben, wie so eine Gruppe wächst, wie die Kinder und Jugendlichen in dieser Gruppe und in dieser Zeit wachsen, das beeindruckt mich immer aufs Neue. Wie groß sie sein können.

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Bitte stell die Kinderhilfe noch etwas genauer vor.

Wie der Name schon sagt, geht es um die Kinder – aber das Kind ist Teil einer Familie. Geht es den Eltern nicht gut, geht es auch den Kindern nicht gut. Wir decken eine sehr große Bandbreite ab. Zum einen unterstützen wir schwersterkrankte Kinder und ihre Familien. Explizit auch deren Geschwister. Wenn ein Kind gerade ganz viel Energie und Kraft braucht, fällt das Geschwisterkind oft hinten runter. Außerdem unterstützen wir Kinder von schwersterkrankten Eltern.

Ganz neu gibt es auch ein Tandemprojekt für Krebserkrankte ab 16 Jahren. Sie bekommen Begleitung von einer Person, die diese Krankheit überstanden hat. Es ist unglaublich wichtig, jemanden an seiner Seite zu haben, der es auch erlebt hat, man hat sofort eine verbindende Ebene.

Wie viele Personen arbeiten mit dir in der Kinderhilfe Potsdam und wie viele Familien begleitet ihr aktuell?

Wir sind elf Festangestellte – zuständig nicht nur für Potsdam, sondern für den gesamten brandenburgischen Raum – Beelitz, Bad Belzig, Luckenwalde, Eberswalde usw. Wir betreuen aktuell ungefähr 60 Familien im Trauerbereich, ca. 60 Geschwisterkinder und insgesamt 200 Betroffene. Man begleitet viele über einen langen Zeitraum und einige kommen und gehen und brauchen uns mal mehr und mal weniger.

Wie finden die Familien zu euch?

Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Jugendliche, die uns einfach gegoogelt haben, weil sie Hilfe brauchen und zu Hause alle überfordert sind. Auch viele Schulen und Lehrkräfte kennen uns bereits über Weiterbildungen und können uns weiterempfehlen. Oder auch Sozialarbeiter oder über Mundpropaganda. Wir werden immer präsenter, z.B. sind über das Schicksal von Lotta viele Leute auf uns aufmerksam geworden (zum Interview mit Mama Sandra). Jeder kann einfach anrufen oder uns eine E-Mail schreiben! Wir treten dann in Kontakt und schauen, wie wir unterstützen können. Ganz wichtig ist, dass alles, was wir tun, für die Betroffenen kostenlos ist.

Gerade ein Todesfall ist ein unglaublicher Schicksalsschlag. Wie sieht eure Trauerarbeit hier aus?

Mit Jugendlichen läuft viel über Gespräche. Mit Kindern arbeiten wir oft kreativ und gestalten zum Beispiel gemeinsam eine Kerze, die zu Hause in einer Gedenkecke steht. Oder überlegen: Wo ist die Person jetzt? Wie sieht es da aus, wie gehe ich damit um? Sehr hilfreich ist auch die Stärken- und Ressourcenarbeit. Hier ist eine schwerwiegende Krise, dagegen setze ich meine Stärken. Vielen Kindern sind diese gar nicht bewusst. Das können innere, aber auch äußere Stärken sein: An wen kann ich mich wenden, welche Unterstützer habe ich – zum Beispiel tolle Lehrer, Oma und Opa. Wo und wie kann ich auftanken?

Wir schaffen auch tolle gemeinsame Erlebnisse, fahren gemeinsam Kart oder haben auch schon Zirkuskunststücke mit dem Circus Montelino eingeübt – mit einer sehr berührenden Vorstellung am Ende. Wir machen uns gemeinsam eine gute Zeit! Viele haben Hemmungen zu kommen, weil sie denken, wir sitzen hier nur im Kreis und jeder ist traurig. Dabei haben wir unheimlich viel Spaß und tolle Gespräche. Und das wichtige Gefühl “Ich bin nicht allein!”.

Viele Kinder fürchten sich, dass die Eltern sterben. Wie reagiere ich eigentlich auf so eine Frage nach dem Tod?

Man muss immer ehrlich sein. Dem Kind sagen: Jeder Mensch muss irgendwann sterben, aber jetzt bin ich hier. Mir geht es gut und ich tue alles dafür, dass es mir gut geht. Ich tue alles dafür, dass ich noch ganz lange bei dir bin. Vielen fällt es nicht leicht, mit Kindern über diese Themen zu reden. Was passiert, wenn jemand krank ist und stirbt, was ist das mit der Beerdigung. Es ist ganz wichtig, die Kinder nicht auszuschließen.

Wir gehen auch in Schulen oder Ausbildungsstätten für Erzieher und leisten Präventionsarbeit, um den Tod wieder zurück ins Leben zu holen. Lehrer und Erzieher sind Vertrauenspersonen und verbringen manchmal mehr Zeit mit den Kindern als die Eltern. Es ist gut, wenn sie wissen, wie sie Kinder unterstützen können. Wir wollen aber auch in der breiten Bevölkerung Offenheit schaffen. Diese Krise wird uns alle ereilen, dass jemand stirbt, der uns nahe ist. Es ist enorm hilfreich, sich vorher damit zu beschäftigen und sich Gedanken zu machen. Im Vorfeld zu lernen, damit umzugehen. Wir wollen eine Offenheit schaffen in der Bevölkerung.

Und wenn der Tod eines Elternteils dann doch unausweichlich bevorsteht?

So hart es ist: Das Kind muss und wird lernen, damit umzugehen. Aber wir gehen diesen Weg gemeinsam. Traurig ist es sowieso, weh tun wird es sowieso. Wir sind da und unterstützen. Wir haben schon gemeinsam eine Grabstelle ausgesucht oder mit dem Bestatter geredet. Ein Kopfkissen aus der Kleidung der Mutter genäht.

Wie kann man euch unterstützen?

Wir suchen immer ganz, ganz dringend Ehrenamtler. Die in die Familien gehen, Freizeitangebote begleiten oder Fahrdienste übernehmen. Ganz explizit auch Männer, denn viele Kinder und Jugendliche haben den Vater verloren und es fehlt die männliche Bezugsperson, die auch einfach mal nur eine Runde Fußball spielt. Für unser Tandemprojekt suchen wir Frauen als auch Männer, die eine Krebserkrankung überstanden haben.

Unsere Familienbegleitungsausbildung findet an zehn Wochenenden statt mit vielen Kooperationspartnern, z.B. aus einem Hospiz oder mit betroffenen Eltern. Man wächst hier auch als Gruppe zusammen und jeder bekommt auch einen Koordinator, der immer zur Verfügung steht für Fragen und Unterstützung. Wir haben tolle Ehrenamtsfeste und gemeinsame Fahrten. Es gibt bei uns keine Hierarchien, Ehrenamtler und Festangestellte sind auf Augenhöhe. Es steht auch keine Verpflichtung dahinter, man kann erstmal reinschnuppern und so viele Stunden arbeiten, wie man es schafft.

Wie sieht es mit Spenden aus?

Spenden für die Kinderhilfe immer herzlich willkommen. Viele Teile unserer Arbeit sind spendenfinanziert. Geldspenden für unsere Arbeit in Potsdam gern direkt an die MBS (siehe Infos unten). Wir freuen uns aber auch über Freizeitspenden – wie Workshops oder Tickets für eine besondere Veranstaltung.

Liebe Julia, wir danken für das Gespräch und eure wichtige Arbeit!

Kinderhilfe Potsdam e.V.

  • Für Eltern: Beratung und Begleitung, Erholungsreisen und Begegnungstage
  • Für schwersterkrankte Kinder / Kinder erkrankter Eltern: Einzelbegleitung und Gruppen
  • Für Geschwister: Geschwistertag einmal pro Monat, Geschwisterfahrten oder Projektwochen in den Ferien
  • Kindertrauergruppe (6-11 Jahre) und Jugendtrauergruppe (12-18 Jahre) in Potsdam und Teltow: jeweils 1x pro Monat, Ferienangebote
  • Für KiTas, Schulen & Ausbildungsstätten: Schulungen, Workshops, Projektangebote

zu den nächsten Terminen

Kontakt- und Beratungsstelle Kinderhilfe Potsdam e.V.:

  • Lennéstr. 74/75, 14471 Potsdam-West
  • info-potsdam@kinderhilfe-ev.de
  • 0331-813 276 03, 0176-85646417
  • →  kinderhilfe-ev.de

Spendenkonto Potsdam:
Kinderhilfe Potsdam e.V.
Mittelbrandenburgische Sparkasse
IBAN: DE95 1605 0000 3502 0277 72
BIC: WELADED1PMB

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